Ingeborg Boxhammer und
Christiane Leidinger
Staatlich–medial begrenztes Empowerment?

Eine Geschichte der lesbischen Selbstorganisierung
"Neue Damengemeinschaft" um 1900

Übersicht des Beitrags

Während des Kaiserreichs gründete sich in Berlin (spätestens) 1908 eine lesbische Selbstorganisierung, die sich vieldeutig "Neue Damengemeinschaft" nannte. Sie geriet im Januar 1909 in den Fokus diffamierender Berichterstattung durch die Wochenzeitung Die Große Glocke. Nach diesem medialen Angriff auf ihre Integrität als Individuen und als Zusammenschluss strengten die selbstbewussten Frauen* mutig einen Beleidigungsprozess gegen den Redakteur an. Während der Gerichtsverhandlung und nach ihrer Niederlage wurden sie mit lokalen, regionalen wie auch europäischen Artikeln weiter diskreditiert. Der Beitrag rekonstruiert, insbesondere auf der Basis von Zeitungsquellen, Hintergründe der Organisierung und der gewählten Selbstbenennung, die Inhalte der auf Skandalisierung, Diffamierung und Beschämung zielenden, wellenförmigen Presseattacken sowie das problematische Urteil des Richters. Anhand der Pressekampagne gegen die Neue Damengemeinschaft wird herausgearbeitet, wie eng der politisch–soziale Rahmen für lesbische Subjektivierungsprozesse in der bürgerlichen Öffentlichkeit des Kaiserreichs gesteckt wurde. In ihrer Berichterstattung griff Die Große Glocke auf die (sexualwissenschaftliche) Vorstellung von echten und unechten Lesben zurück: Damit ließen sich erstere als unauffällig und deshalb als Positivbeispiel dulden und der auffällig gewordenen Neuen Damengemeinschaft gegenüberstellen. Auch nach den massiven öffentlichen Anfeindungen finden sich Spuren von Zusammenkünften, die nahelegen, dass zumindest einige Mitfrauen* nicht aufgaben, sich gemeinsam zu treffen.




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