Laurie Marhoefer
Wurden lesbische Frauen im Nationalsozialismus verfolgt?

Mikrogeschichte und der Begriff der "Verfolgtengruppe"

Übersicht des Beitrags

Ausgehend vom HistorikerInnenstreit, ob lesbische Frauen im Nationalsozialismus individueller Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt gewesen seien, regt Laurie Marhoefer einen Perspektivwechsel an: Verfolgungen gründen nicht nur auf einem Gesetz oder einer expliziten Kampagne. Als verfolgt gilt eine Person auch dann, wenn sie aufgrund ihrer Eigenart oder Auswahlentscheidungen einem speziellen Risiko ausgesetzt war. Für Lesben und Transmenschen war das damals der Fall, zumindest in der intersektionalen Situation mehrfacher Nachteile und der Abweichung von Vorgaben des NS–Regimes.

Mikrohistorisch untersucht Marhoefer die Lebensgeschichte von Ilse Totzke (1914 — 1987), die der Gestapo in mehrerlei Hinsicht auffiel, auch wegen ihrer als lesbisch klassifizierten Verhaltensweisen. In ein Konzentrationslager geschickt wurde sie schließlich, nachdem man sie bei einem illegalen Grenzübertritt zusammen mit einer sie begleitenden Jüdin verhaftet hatte. Marhoefer zeigt die Anlässe, aus denen Totzke zur Gestapo in Würzburg vorgeladen wurde, und rekonstruiert das sich immer enger zuziehende Netz der Verdächtigungen. Zu den Folgerungen gehört die Frage, ob Geschlechtsnonkonformismus für Frauen während der NS–Zeit nicht eine größere Gefahr mit sich brachte als Affären mit anderen Frauen.




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