Ariane Rüdiger:
Lesben sichtbar machen.

Die Arbeit des AK Uferlos.
Lesbenpolitik (= Splitter, Bd. 12), München: forum homosexualität münchen 2015, 124 S.,7 € 

sorry, no cover

 

Rezension von Anna Ricke, Köln

Erschienen in Invertito 18 (2016)

Das 1999 gegründete forum homosexualität münchen e. V. thematisiert in seiner Publikationsreihe Splitter historische und gesellschaftsgeschichtliche Themen im Zusammenhang mit Alltag, Kultur und Geschichte von Lesben und Schwulen. Im zwölften Band der Splitter-Reihe Lesben sichtbar machen. Die Arbeit des AK Uferlos Lesbenpolitik widmet sich die Schriftstellerin Ariane Rüdiger der Rolle und Bedeutung des 1988 bis 1997 in München tätigen Arbeitskreises Uferlos. Hierfür hat sie die Unterlagen des Arbeitskreises ausgewertet, die dieser dem Lesbenarchiv des forum homosexualität überantwortet hatte, und diese um Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern sowie um persönliche Erinnerungen an den AK Uferlos, dem die Autorin rund ein Jahr lang selbst angehörte, ergänzt.

Ariane Rüdiger umreißt zunächst die Zeitumstände, in denen der AK Uferlos 1988 sein Engagement begann. In Zeiten eines kulturellen Backlashs in Bezug auf die Toleranz gegenüber Homosexualität, der u. a. in Großbritannien die Clause 28 (Untersagung der Verwendung kommunaler Gelder für "Werbung für Homosexualität") zur Folge hatte, prägte in Deutschland, wo der §175 StGB immer noch in Kraft war, besonders die CSU eine deutlich konservative Politik. Diese gipfelte in Peter Gauweilers Forderung nach einem "Programm zur Überwindung der nationalen Dekadenz" (S. 12). Der AK Uferlos, an dem zwischen fünf und zehn Frauen mitwirkten, gründete sich in München als Arbeitskreis des Frauenprojekts KOFRA (Kommunikationszentrum für Frauen in der Arbeitswelt), das sich schon zuvor für die Interessen von (homosexuellen) Frauen eingesetzt hatte. Bis zu seiner Einstellung 1997 ist – so betont die Autorin – das starke Engagement der Frauen des AK Uferlos für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für schwul-lesbische Vereine, ihre Zusammenarbeit mit der Volkshochschule München bei den Aufklärungsveranstaltungen von 1991 bis 1996 sowie ihre Aktivität im Bereich der Medienrezeption durch Protest- und Leserinnenbriefe, Presseerklärungen und öffentliche Stellungnahmen hervorzuheben. Seit 1988 fand in Bayern eine lebhafte Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit solcher Vereine statt, deren Ziele konservative Kreise als moralisch anstößig empfanden. Die diversen Äußerungen, die Ariane Rüdiger in diesem Zusammenhang zitiert, haben heute fast Unterhaltungswert: So konstatierte beispielsweise Bayerns Innenminister August Lang im selben Jahr, es bedürfe keiner Untersuchung, dass die Bevölkerung für die Akzeptanz der Homosexualität als gleichberechtigte Variante sexuellen Verhaltens kein Verständnis aufbringe, wohl auch, weil es ihm "völlig gleichgültig" sei, wie die aktuelle wissenschaftliche Auffassung zu dieser "Schweinerei" laute (S. 25f.). Wie in aktuellen Konflikten instrumentalisierten konservative Kräfte auch damals den Schutz von Kindern und Familie als Vorwand, um ihre reaktionäre bzw. homophobe Politik zu rechtfertigen. Die Auswirkungen einer solch bornierten Weltsicht bekamen kurz darauf auch der AK Uferlos und KOFRA zu spüren, wie Ariane Rüdiger darlegt: Im Streit um die Gemeinnützigkeit war das KOFRA 1989 dazu gezwungen, den AK Uferlos zumindest formal auszugliedern, um den Verlust zahlreicher anderer Projekte und Arbeitsplätze zu verhindern. Die dadurch gewonnene Autonomie ermöglichte es dem Arbeitskreis jedoch, eine Petition an den Bundestag zur Gemeinnützigkeit schwul-lesbischer Vereine zu erarbeiten, die auf bundespolitischer Ebene erstaunliche Furore verursachte, insbesondere, wenn man die überschaubare Größe des AK Uferlos in Erwägung zieht. Zwar wurde dem Antrag nicht entsprochen, da aus Sicht des Gesetzgebers das bereits geltende Gesetz die Bekämpfung der Diskriminierung von Minderheiten schon genügend begünstigte, jedoch erwirkte die Petition bei den Behörden immerhin die Verfestigung der Ansicht, dass der Gemeinnützigkeit schwul-lesbischer Vereine nichts entgegenstehe.

Als weiteren Erfolg des Arbeitskreises wertet Ariane Rüdiger die Veranstaltungsreihe mit der Volkshochschule München ab 1990/91, welche die Möglichkeit bot, eine breite Öffentlichkeit über homosexuelle Belange zu informieren. Die Reihe, die Filmabende, Vortrags- und Diskussionskurse zu lesbischen und schwulen Themen umfasste, wurde mehrfach wiederholt und setzte wichtige Wegmarken in Richtung eines offenen Diskurses über Homosexualität in der Gesellschaft. Im Anhang zur Publikation findet sich eine Beschreibung der bei der Informationsreihe verwendeten Videos sowie eine Transkription des Tonbandes Lesbengeschichte(n) (S. 99–113), auf dem anonyme Sprecherinnen Stellung zu Themen wie Coming-out, Sexualität, Familie, Kinderwunsch etc. nehmen. Neben diesen Haupttätigkeiten des AK Uferlos für die Gemeinnützigkeit schwul-lesbischer Vereine sowie die Zusammenarbeit mit der VHS München beschreibt die Autorin auch dessen lokale Aktivitäten (so beispielsweise den Einsatz für eine ausreichende Ausstattung der Münchner Stadtbibliothek mit Literatur zum Thema Lesben) und seine Kontakte zu einzelnen Mitgliedern des Münchner Stadtrates. Weiterhin beleuchtet sie die Folgen der Wiedervereinigung für die politische Lage von Schwulen und Lesben, die 1994 in die Streichung des § 175 StGB und Diskussionen um die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe mündete. Der AK Uferlos engagierte sich auch in zahlreichen individuellen Fällen, in denen Lesben oder Schwule aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gesellschaftliche Nachteile erfuhren. Nicht zuletzt deswegen bezeichnet Ariane Rüdiger den Arbeitskreis als "Watchdog" und führt mehrere Fälle auf, in denen der AK Uferlos gegen diffamierende Artikel oder Fernsehsendungen protestierte. Der AK Uferlos stellte 1997 seine Arbeit schließlich ein. Zum einen sahen sich die ohnehin wenigen Ehrenamtlichen nicht mehr in der Lage, ihr Engagement in der gleichen Intensität weiterzuführen, zum anderen war mit dem Einzug der Rosa Liste in den Münchner Stadtrat sowie diversen Nachfolgeprojekten weniger Not für weitere Aktivitäten Die Pionieraufgabe des Arbeitskreises, die Anliegen lesbischer Frauen in München und darüber hinaus zumindest teilweise bewusst und explizit zu machen, sieht die Autorin damit souverän erfüllt.

Ariane Rüdiger bietet mit ihrer um persönliche Erinnerungen bereicherten Zusammenstellung von Quellen und politischem Kontext einen aufschlussreichen und spannenden Einblick in ein bemerkenswertes Projekt. Von zeitgeschichtlichem Wert scheinen dabei insbesondere die beigefügten Quellen im Anhang, die Einblicke in das zeitgenössische Selbst- und Lebensverständnis der interviewten Frauen gewähren. Die von Ariane Rüdiger angeführten Reaktionen auf die Arbeit des AK Uferlos, insbesondere des konservativen Publikums, entlarven die erstaunliche, geradezu reaktionär anmutende Rückständigkeit des Politikbetriebes jener Zeit. Eine etwas übersichtlichere Strukturierung der Kapitel und des Fließtextes hätte den Lesefluss zwar noch etwas unterstützt, dies stellt aber keinen wesentlichen Abtrag dar. Ariane Rüdiger ist es damit eindrucksvoll gelungen, ein bisweilen persönliches und facettenreiches Bild der Aktivitäten des Projektes AK Uferlos zu gestalten.