Christopher Keppel & Joachim Bartholomae: "Schlaffe Ghaselen" und "Knoblauchsgeruch".

Platen, Immermann und Heine streiten über freche Juden, warme Brüder und wahre Poesie
Hamburg: Männerschwarm Verlag 2012, 248 S., 20 € 

sorry, no cover

 

Rezension von Wolfgang Wagner, Hamburg

Erschienen in Invertito 16 (2014)

Der literarische Streit zwischen August von Platen-Hallermünde, Karl Immermann und Heinrich Heine ist in der Literaturwissenschaft bereits häufig Gegenstand diskursanalytischer Studien gewesen. Die Auseinandersetzung hatte sich an fünf Xenien Immermanns entzündet, die 1827 als Anhang am Ende des zweiten Bandes von Heines Reisebildern erschienen waren. Dort machte er sich über Dichter lustig, die in der Nachfolge von Goethes West-östlichem Diwan orientalisierende Lyrik schrieben. Eine Kritik, die Platen auf sich bezog und zum Anlass nahm, Immermann in seinem Lustspiel Der romantische Ödipus (1829), in dem er diesen unter dem Namen Nimmermann auftreten lässt, jedes dichterische Talent abzusprechen und Heine, der Immermann zur Publikation verholfen hatte, als getauften Juden zu bezeichnen. Obwohl Immermann bereits eine literarische Erwiderung an Platen publiziert hatte, blieb auch Heine nicht untätig. Er nahm, Platens Homosexualität öffentlich thematisierend, in seinen Bädern von Lucca (1830) eine soziale Exekution Platens vor, weshalb Platen nicht mehr von seiner Italienreise nach Deutschland zurückkehren konnte.

In der jüngeren Arbeit von Christopher Keppel und Joachim Bartholomae wird der Streit noch einmal essayistisch aufgearbeitet und die zur Diskussion stehende Literatur zusammen mit den jeweiligen Briefen und Rezensionen in einer äußerst umfangreichen Materialsammlung mit kommentierenden Einleitungen wiedergegeben. Darüber hinaus sind spätere Stellungnahmen zur Auseinandersetzung zwischen Heine und Platen abgedruckt. Auf diese Weise wird das Material kompakt und handlich auf einen Band konzentriert wiedergegeben und auch dem interessierten Laien zugänglich. Wer bislang alle betreffenden Dokumente zusammentragen wollte, sah sich schnell vor einem 20 Bände umfassenden Bücherstapel sitzen.

Die Autoren haben die Orthografie der Originaldokumente der heutigen Schreibweise angeglichen. Das erhöht die Lesefreundlichkeit, allerdings wirken die Texte für diejenigen, die sie bereits im Original kennen, durch diese Angleichung beinahe befremdlich aktuell und es scheint durchaus einen Unterschied zu machen, ob Platen etwas "tut" oder ob er etwas "thut". Bei vielen Schreibweisen wäre das Verständnis keineswegs erschwert gewesen, aber der zeitliche Abstand zum Geschehen optisch greifbar geblieben. Aufgrund der angepassten Orthographie wird es künftigen LiteraturwissenschaftlerInnen leider nicht möglich sein, die Originalquellen aus diesem kompakten Werk zu zitieren.

Auch in der Interpretation der Originalquellen können die Autoren nicht durchgehend überzeugen. So führen sie zum Beispiel eine Rezension aus der Feder Immermanns zu Heines Gedichten an (S. 117 f.). In dieser nennt Immermann als Qualitätsmerkmal guter Dichtung Authentizität und die Darstellung zutiefst durchlebter und durchlittener Gefühle des Dichters. Für ihn erfüllt Heines Dichtung diese Kriterien vollauf. In Bezug auf Platen urteilen Keppel und Bartholomae nun, dass, wer solche Forderungen stelle, Platen nicht mögen könne (S. 118).

Ein solches Urteil verfehlt Platen, die Platen-Rezeption und den literarischen Streit zwischen Heine und Platen. Denn seinen Neuen Ghaselen von 1823 stellte Platen einen Prolog voran, in dem er ebenfalls behauptet, Authentizität sei ein Qualitätsmerkmal guter Dichtung. Er formuliert dieses Kriterium als Antithese zum Stoizismus, dessen Gefühls-Schule der Gleichmut gegenüber dem Schicksal das Individuum von sich selbst entfremde. Die Neuen Ghaselen selbst führen sodann, eher schlecht versteckt hinter den symbolischen Gestalten der orientalischen Dichtungstradition, auf die Platen sich hier bezieht, ein homoerotisches lyrisches Ich und dessen "Schönheitsfreund" vor. In diesem umfassenden Zyklus wird über Querverweise zwischen den einzelnen Gedichten ein Sinnzusammenhang hergestellt, der im Einzelgedicht nicht greifbar wird und über den das Seelenbekenntnis Platens überhaupt erst verständlich wird. In seinen Bädern von Lucca zitiert Heine fast ausschließlich aus Ghaselen, die ursprünglich aus diesem Zyklus stammen, obwohl Heine von diesen nur einige wenige aus Platens ausgewählten Gedichten von 1828 kannte, ihm der Zusammenhang also unbekannt war.

Die Gedichte konnten von Heine deshalb polemisch platt gewalzt werden, weil sie, abgesehen von ihrer formalen Seite, an der Heine Kritik übte, Platens "skandalöse" Homosexualität öffentlich thematisieren. Wie Keppel und Bartholomae selbst anführen, sprechen die zeitgenössischen Rezensionen von diesem Skandalon und es ist darüber hinaus genau dies der Punkt, an dem deutlich wird, dass Heines Polemik nicht auf das dichterische Talent Platens zielt, sondern auf seine Person. Wer authentische Dichtung lesen will, der sollte vielleicht nicht den Romantischen Ödipus aufschlagen, aber die Ghaselen, die Heine in der Luft zerriss, sind sehr authentische Gedichte. Und die Aussage zur eigenen Homosexualität ist, hinter Gattungskonventionen versteckt, genauso unmissverständlich wie die Zeit-Kritik in Heines Reise-Bildern. Platen und Heine bedienen sich also vergleichbarer Verfahren uneigentlichen Sprechens.

Ebenfalls problematisch ist Keppels und Bartholomaes Behauptung, Thomas Mann würde in seiner die Platen-Rezeption wesentlich prägenden Ansbacher Rede, die sie in Auszügen präsentieren, Platen aus Mitleid in Schutz nehmen (S. 236). Tatsächlich macht sich Thomas Mann in den betreffenden Passagen, in denen er Platen als einen "Don Quichotte" bezeichnet, durchaus über Platen lustig, der in seinem Liebeswahn wie jener Ritter von der traurigen Gestalt die Realität mit der Fiktion verwechselt habe. Und tatsächlich geben Platens Tagebücher einen Eindruck davon, wie sehr Platen unter seiner Homosexualität gelitten hat und wie er sich wiederholt in seinem verzweifelten Streben nach Gegenliebe öffentlich demütigte. Die betreffenden Passagen aus der Rede zum Don Quichotte-Vergleich sind bei Keppel und Bartholomae leider nicht wiedergegeben und so fehlt ein wesentlicher Aspekt von Manns Platen-Bild.

Zugleich aber bietet das Buch von Keppel und Bartholomae die seltene Gelegenheit, Immermanns Beiträge zum Literaturstreit einzusehen und etliche Rezeptionszeugnisse, die selbst in den umfangreichsten Darstellungen bislang gefehlt haben. Das macht die Arbeit zu einem sehr dankenswerten Projekt.




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