Julius Zinner
Entspricht die Bestrafung der Homosexuellen unserem Rechtsempfinden?

Österreichs erste Streitschrift eines Betroffenen. Kommentierte Neuauflage. Mit einem Beitrag zur Homosexualität um 1900 von Hans-Peter Weingand. Edition Regenbogen - Studienreihe Homosexualität, Graz: Rosalila PantherInnen, Schwul-lesbische Arbeitsgemeinschaft Steiermark 2008. 104 S., € 24

sorry no cover

 

Rezension von Jens Dobler, Berlin

Erschienen in Invertito 11 (2009)

1906 fand in Graz ein Prozess wegen des "Verbrechens der Unzucht wider die Natur" gegen zehn Angeklagte statt, ausgelöst durch eine Erpressung, die von einem der Betroffenen leichtsinnig in die Öffentlichkeit hinausposaunt worden war und letztlich durch einen weiteren Beteiligten zur Anzeige wegen homosexueller Handlungen geführt hatte. Einer der Angeklagten, Cornelius Zimka, Chorsänger am Grazer Stadttheater, wurde zu 14 Monaten schwerem Kerker verurteilt. Nach der Verbüßung veröffentlichte er 1908 die Schrift "Entspricht die Bestrafung der Homosexuellen unserem Rechtsempfinden? Ein Beitrag zur Lösung des homosexuellen Problems" unter dem Pseudonym Julius Zinner. Von dieser Schrift sind heute nur noch zwei Exemplare in öffentlichen Bibliotheken vorhanden. Hans-Peter Weingand hat sie jetzt, kommentiert und mit einer umfangreichen Einleitung versehen, neu herausgegeben.

Angesichts des Leides, das Zimka erfahren hat, fällt seine Schrift ruhig, besonnen, sogar etwas distanziert aus; er schildert fast dokumentarisch alle Ereignisse der Untersuchung, des Prozesses und der Haftzeit. Er ist von seinen Mitangeklagten belastet worden, wohl zu Unrecht, dies ist zumindest seine Darstellung, und strebt bereits in der Haft ein Wiederaufnahmeverfahren an. Vermutlich ist die Schrift auch gedacht, zumindest nachträglich eine Rehabilitierung zu erreichen. Zimka geht aber auch über den Prozess hinaus und macht sich Gedanken zur Homosexualität generell, wobei er in seiner Position unklar erscheint. Auf der einen Seite scheinen ihm Homosexuelle Menschen mit "gestörten Nervensystemen" zu sein, hier ist eine deutliche Distanzierung von seinen Mitangeklagten herauszuhören. Andererseits hält er Homosexuelle für "Menschen von hoher Intelligenz, tiefer Geistesbildung, hohem ethischen und sittlichen Empfinden" usw. Seine Prognose zu einer Reform der Paragrafen 129a und 175 fällt eher düster – und damit im Nachhinein realistisch – aus.

Hans-Peter Weingand hat eine kluge und sehr gut zu lesende Einleitung über die Geschichte vorwiegend der männlichen Homosexualität um 1900 in Österreich im Allgemeinen und in Graz im Besonderen vorangestellt. Darin wertet er die vorhandene Literatur aus und präsentiert viele Quellenfunde, von dokumentierten Toilettensprüchen jener Zeit bis zu Berichten über urnische Angehörige des Hochadels der k. u. k. Monarchie.

Mit der Neuauflage von Zimkas Schrift liegt sicherlich ein wichtiges Puzzleteilchen in der Geschichte der Homosexualitäten in Österreich vor. Die Sachverhalte und Forschungsergebnisse sind jedoch auch für die deutsche Geschichtsforschung wichtig und inspirierend. Vor allem macht es Freude, dieses Buch zu lesen. Schade nur, dass man beim Autor das Pseudonym Julius Zinner belassen und nicht Cornelius Zimka posthum die Ehre als Verfasser erwiesen hat.




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