Der Gala Verlag in Hamburg, 1959-1985

Eine Bibliographie. Bearbeitet von Franz Bayer. Mit einem Vorwort von Karl Ludwig Leonhardt (= Erotische Literatur. Mitteilungen zu Erforschung und Bibliographie / Newsletter for the study and bibliography of Erotic Literature, hg. v. / ed. by W[alter] v. Murat, Nr. 8 [2005]), Berlin: Antiquariat Ars Amandi 2005, 211 S., XIII Taf., Ill., € 40

Cover

 

Rezension von Mirko Nottscheid, Hamburg

Erschienen in Invertito 10 (2008)

Der Newsletter des Berliner Antiquariats Ars Amandi bietet Liebhabern und Forschern seit einigen Jahren in unregelmäßigen Abständen Informationen aus dem Gesamtspektrum der Geschichte der erotischen Literatur: bio-bibliographische Studien zu Autoren, Werken und Verlagen sowie Neuübersetzungen und Nachdrucke. Dem wissenschaftlichen Ernst der Beiträge tut es keinen Abbruch, dass gewisse Traditionen in der Beschäftigung mit dem Gegenstand liebevoll gepflegt werden: So treten sowohl der Herausgeber der Reihe - Walter von Murat - als auch andere Autoren unter Pseudonym auf.

Die achte Folge des Newsletters dokumentiert in monographischer Form einen wenig erforschten Zweig der bundesdeutschen Verlags- und Kulturgeschichte nach 1945: Der Hamburger Gala Verlag war in den 1960er und frühen 1970er Jahren eine der ersten Adressen für anspruchsvolle erotische Literatur. Gegründet im Jahre 1959 durch den Kaufmann Wilhelm Krohn (1919-1980) und Partner brachte der Verlag zunächst eine Reihe von Judaica und Titeln zur Geschichte des Holocaust (darunter eine Neuausgabe von Gertrud Isolanis Tatsachenroman Stadt ohne Männer, 1959) heraus. Unter dem Druck schlechter Verkaufszahlen vollzog sich bald die Neuausrichtung auf Erotika, damals eine Marktlücke. Der Verlag begann mit Neudrucken und -übersetzungen klassischer Texte des Genres in bibliophiler Ausstattung, die sich bei relativ hohen Verkaufspreisen an ein ausgewähltes Liebhaberpublikum richteten. Großer Wert wurde auf die Buchausstattung gelegt. Während der Verlag mit nummerierten Vorzugsausgaben auf Bütten und anspruchsvollen Illustrationen an die Tradition des erotischen Privatdrucks anknüpfte, bediente er sich zugleich moderner Werbemittel: Der Abbildungsteil zur vorliegenden Bibliographie bietet eine Auswahl der ebenso werbewirksamen wie originellen Verlagsprospekte und Buchumschläge, von denen viele von dem Hamburger Grafiker Martin Andersch (1922-1991), dem Bruder des Schriftstellers Alfred Andersch, gestaltet wurden.

Frühe Höhepunkte des Gala-Programms waren Übersetzungen bzw. Neuausgaben älterer Übertragungen, hauptsächlich klassischer französischer Texte des 18. Jahrhunderts, darunter die prachtvoll ausgestattete, durch Ludwig von Brunn (d.i. Karl Ludwig Leonhardt, geb. 1922) besorgte Reihe Schatzkammer der galanten Literatur (12 Bde., 1964/1965). Mit den Editionen des zeichnerischen Werkes von Franz von Bayros (2 Bde., 1966/1967) rief Gala einen der wichtigsten erotischen Buchillustratoren des frühen 20. Jahrhunderts in Erinnerung. Unter den modernen Autoren, die der Verlag in Deutschland einführte, ist der niederländische Maler und Pop-Literat Jan Cremer (geb. 1940) hervorzuheben, dessen Autobiographie Ich Jan Cremer 1964 in deutscher Übersetzung erschien. Obwohl der Verlag bei Cremer und zahlreichen weiteren Projekten mit Indizierungen durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu kämpfen hatte, öffnete die Liberalisierung des öffentlichen Klimas seit Mitte der 1960er Jahre vorübergehend den Markt für ein breiteres Lesepublikum, das Gala ab 1965 mit einem eigenen Taschenbuch-Programm (Tabu) bediente. In den Jahren 1964 bis 1967 kam mit Kala (griechisch "die Schöne") eine weitere Ausgründung hinzu. Eine Vorreiterstellung nahm die Gala-Gruppe - begünstigt durch das von sexuellen Assoziationen besetzte Skandinavien-Bild mehrerer Generationen in Deutschland - bei der Einführung erotischer Literatur aus Dänemark und Schweden ein. Hinzu kam als wichtiger Geschäftszweig der Handel mit den eigenen Verlagsrechten: Zahlreiche Lizenzausgaben erschienen in größeren Verlagen wie Heyne, Bastei oder dem Bertelsmann Lesering, die auf den Sex-Boom aufsprangen. Im Zuge der pornographischen Massenproduktion der 1970er Jahre, unter welcher der Markt für anspruchsvollere Erotika schrumpfte, kam die während der vorhergehenden Dekade expansive Entwicklung des Gala-Programms zum Erliegen. Bereits 1976 musste die Taschenbuch-Produktion eingestellt werden, der letzte originäre Gala-Titel erschien 1985.

Eher vereinzelt, aber in bemerkenswerten Beispielen erschienen bei Gala auch homoerotische Texte, darunter mit der Neuübersetzung des frühen Lesbenromans The well of loneliness (1967) von (Margaret) Radclyffe Hall (1880-1943) und Enge Jeans (2 Tle., 1972/1974) von dem Schweden Jan Hogan (d.i. Nils Hallbeck, 1907-1997) immerhin zwei aus verschiedenen Epochen stammende Klassiker der schwul-lesbischen Emanzipationsliteratur. Häufiger stößt man jedoch auf pseudo-lesbische Texte wie Zärtliche Freundinnen von G. Donville (Pseudonym), die entsprechende Szenarien oder Episoden für ein überwiegend männliches Lesepublikum aufbereiten. Unter den klassischen Erotika dieser Art ist Anandria. Bekenntnisse der Mademoiselle Sappho (1964) hervorzuheben: Der Verlag ließ seine Neuausgabe einer älteren Übersetzung des französischen Originals (1789) durch den Grafiker Erich Godal (d.i. Erich Goldmann, 1899-1969) illustrieren. Für Godals erotische Federzeichnungen stand u.a. die Hamburger Schriftstellerin Gigi Martin (geb. 1935) Modell, die mit Geh vorbei, wenn du kannst ... (1960) einen der ersten lesbischen Liebesromane der Nachkriegszeit verfasste.[1]

An den Erfolg von Hogans Enge Jeans (Gesamtauflage: 12.500 Exemplare) versuchte Gala noch 1976 mit der vergleichsweise niveaulosen Kurzgeschichtensammlung Unten ohne anzuknüpfen. Deren Verfasser Heinz F.S. Liehr (Pseudonym: Rico di Positano, 1917-1990) war der Lebensgefährte des Journalisten und Übersetzers Johannes Werres (1923-1990) - eine Schlüsselfigur der homosexuellen Publizistik vor 1970 -, der gleichfalls mit dem Gala Verlag verbunden war: Werres übersetzte 1964 (in Zusammenarbeit mit dem konkret-Gründer Klaus Rainer Röhl) die oben erwähnte Autobiographie von Jan Cremer. Das Freundespaar Werres/Liehr assistierte seit den späten 1950er Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiter dem Hamburger Mediziner Willhart S. Schlegel (1912-2001) bei seinen umstrittenen "konstitutionsbiologischen" Studien zur Sexualität. Schlegel selbst verfasste im Auftrag von Gala ein Lexikon der Sexualität, das nach schwierigen Überarbeitungsprozessen durch andere Autoren schließlich 1969 als Lizenzausgabe im Heyne-Verlag erschien. Der Band konnte sich jedoch nicht gegen ähnlich konzipierte Nachschlagewerke wie Ernest Bornemans Lexikon der Liebe und Sexualität (zuerst 1968) durchsetzen.

Überhaupt bewies der Gala Verlag bei kultur- und sexualwissenschaftlichen Titeln, die ein vergleichsweise kleines Segment bildeten, insgesamt eine weniger glückliche Hand. Eine wichtige Ausnahme ist die von Rolf Italiaander (1913-1991) zusammengestellte Anthologie Weder Krankheit noch Verbrechen (1969), die u.a. populärwissenschaftliche Studien zur Homosexualität sowie eine durch den Herausgeber veranstaltete Rundfrage unter prominenten Persönlichkeiten zur damals anstehenden Reform des § 175 StGB vereinigte. Das Werk wurde zwar erst nach der Novellierung des § 175 ausgeliefert, aber der Verlag hatte zuvor einen broschierten Sonderdruck mit einem Teil der Beiträge fertiggestellt, den Italiaander an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages schickte. In der vorliegenden Bibliographie fehlt in der ansonsten vollständigen Inhaltsübersicht des Bandes die biographische Notiz über den Herausgeber, die mit den Initialen von Italiaanders Lebensgefährten Hans-Ludwig Spegg gezeichnet ist.

Der Bibliographie stehen eine kurze Einleitung des Bearbeiters Franz Bayer (Pseudonym) und ein informatives Vorwort des Verlegers und Sammlers Karl Ludwig Leonhardt voran, der im Programm von Gala selbst mit zahlreichen Ausgaben und Übersetzungen hervorgetreten ist. Die Bibliographie ist übersichtlich in acht Teile gegliedert, die jeweils einzeln gezählt werden: Die drei größten Abteilungen (A-C) bilden die Veröffentlichungen des Gala Verlags sowie der beiden Ausgründungen Tabu und Kala, die jeweils nach Autoren- bzw. Titelalphabet verzeichnet sind (insgesamt rund 200 Titel). Separate Titelverzeichnisse (D-H) dokumentieren den Buchclub 69 - ein kurzlebiges Kooperationsprojekt mit anderen Verlagen -, Lizenzausgaben (etwa 170 Titel!), Vorlagen zu Verlagspublikationen (Auswahl), nicht realisierte Verlagsprojekte und die Sammelprospekte der Verlagsgruppe. Die vorzügliche Titelaufnahme erfolgte durchgehend anhand der Originale und umfasst alle Angaben auf den Titelblättern sowie sonstige Druckvermerke zur Herstellung. Farbig gedruckte Teile des Titelblatts werden besonders ausgewiesen. Umfangreiche zusätzliche Informationen stützen sich auf das Verlagsarchiv, beispielsweise Angaben zu Pseudonymen, Auflagenziffern, Manuskripteinlieferungen, Erscheinungsterminen und zu den Verträgen mit Autoren, Übersetzern und Lizenznehmern. Besonders interessant sind die angeführten Rezensionen, die zeigen, welche Autoren sich in den Zeitungsredaktionen der 1960er Jahre um die Rezeption erotischer Literatur bemühten, und die lebhaften Debatten um einzelne Titel und Indizierungsverfahren dokumentieren. Zu den Kuriosa des bibliographischen Apparates gehören ausgewählte Zitate aus Lektoratsgutachten ("Das ist eine brillant begabte Person und sie schreibt eine säuische Prosa") oder die Mitteilung eines Druckereibetriebs, der Inhalt des bestellten Werkes sei "selbst für Setzer und Korrektoren, die sich bereits an das Setzen von Sexualtexten gewöhnt haben, unzumutbar". Auch Fehlgriffe des Verlags werden nicht verschwiegen: Für seine Ausgabe von John Clelands Memoiren eines Freudenmädchens (besser bekannt unter dem Titel Fanny Hill) bearbeitete Gala 1964 eine korrupte anonyme Übersetzung aus dem Jahre 1919, vermutlich weil die bessere, niemand geringerem als Franz Blei zugeschriebene bereits im Vorjahr durch den konkurrierenden Verlag Franz Desch verwertet worden war. Die Indizierung beider Ausgaben wurde 1969 aufgehoben.

Ausführlichere biographische Angaben zu Autoren und Übersetzern werden nur ausnahmsweise geboten. Hier verbergen sich etliche Anregungen für die Erforschung wenig bekannter oder tabuisierter oder mit dem Genre erotische Literatur bisher nicht assoziierter Autoren. Bei der Auflösung der Pseudonyme fällt eine interessante Auslassung auf, vielleicht, weil das betreffende Werk äußerst umstritten ist. 1967 veröffentlichte Gala die umfangreiche Monographie Griechische Liebe (Greek Love) von J.Z. Eglinton. Das Buch ist in weiten Teilen ein agitatorischer Versuch, homopädophile Beziehungen historisch, psychologisch und sozialwissenschaftlich zu legitimieren; es enthält jedoch zugleich hochinteressantes Quellenmaterial zur dorischen Knabenliebe wie zur homosexuellen Literatur- und Sozialgeschichte allgemein. Hinter dem Pseudonym Eglinton verbirgt sich der US-Amerikaner Walter Henry Breen (1928-1993), ein anerkannter Numismatiker.[2] Zur Geschichte des Exzentrikers Breen, der mit der prominenten Fantasy-Schriftstellerin Marion Zimmer Bradley verheiratet war und neben zahlreichen numismatischen Standardwerken ein Buch über "lusty limericks" verfasste, gehört, dass er gegen Ende seines Lebens aufgrund mehrerer Fälle von sexuellem Missbrauch an minderjährigen Jungen verurteilt wurde und im Gefängnis starb. Die Bibliographie behandelt das Pseudonym diskret, nennt aber Breens im Impressum bedankten Mitarbeiter Warren Johansson (d.i. Philip Joseph Wallfield, 1934-1994), der in späteren Jahren ein produktiver Forscher auf dem Gebiet der Geschichte der Homosexualität wurde (u.a. Mitherausgeber der Encyclopedia of Homosexuality, 2 Bde., 1990).

Der Band ist durch Personen-, Autoren- und Titelregister ausgezeichnet erschlossen. Über eine Kurztitelliste lässt sich die Entwicklung des Verlagsprogramms auch chronologisch nachvollziehen. Die Bibliographie dokumentiert in erster Linie Geschichte und Programm eines Nischenverlags, ist aber auch wertvoll für Anschlussforschungen, beispielsweise zur bibliophilen Buch- und Sammlerkultur der Nachkriegszeit, zur Rezeption skandinavischer erotischer Literatur in Deutschland, zur Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle und die daran anschließenden Debatten um Pornographie, Zensur und Jugendschutz sowie allgemein zur Sozialgeschichte der Sexualität nach 1945. Für Bibliographen und Forscher liegt hier ein weitgehend zuverlässiges Referenzwerk vor, dem etliche Korrekturen und Ergänzungen bisheriger Forschungsstände - keineswegs beschränkt auf die Erscheinungen des Gala Verlags - entnommen werden können.

[1] Für den Hinweis auf die Zusammenarbeit zwischen Godal und Martin danke ich Dr. Heike Schader, Hamburg.
[2] Vgl. das informative, aber unkritische Porträt von Mader, Donald: Walter H. Breen (J.Z. Eglinton) (1928-1993), in: Bullough, Vern L. (Hg.): Before Stonewall. Activists for Gay und Lesbian Rights in Historical Context, New York, London u. Oxford: Haworth 2002, S. 312-321.




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