Samanta Maria Schmidt:
Lesbenlust und Kinoliebe

Kirchlinteln: Hoho Verlag Hoffmann & Hoyer, 2005, 159 S., € 20

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Ingeborg Boxhammer:
Das Begehren im Blick

Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte, Bonn: Mäzena Verlag 2007, 218 S., € 26,95

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Rezension von Sabine Puhlfürst, München

Erschienen in Invertito 10 (2008)

Samanta Maria Schmidt beschäftigt sich - wie der Titel schon andeutet - in ihrem Buch mit der Darstellung lesbischer Sexualität im Spielfilm. Dazu hat sie rund 250 Filme unterschiedlicher Länge, jeglichen Formats und aller Genres gesichtet. Die meisten der analysierten Filme stammen aus den 1990er Jahren, dem Jahrzehnt, in welchem der Lesbenfilm im Kino auf seinem Höhepunkt war, u.a. mit Bound (1995), Two girls in love (1995), When night is falling (1995) oder Fucking Åmål (1998), um nur einige der bekanntesten Beispiele zu nennen. Der Schwerpunkt liegt auf den Filmen des klassischen Erzählkinos, weil diese Filme am leichtesten zugänglich und am bekanntesten sind und weil sie am ehesten den Hintergrund bieten, auf dem sich lesbische Beziehungen und lesbische Sexualität in für ein breites Publikum nachvollziehbarer Weise entwickeln. Trotzdem hat Schmidt auch möglichst viele Kurzfilme und Filme experimenteller Machart in ihre Überlegungen einbezogen; Serien oder Soaps finden nur am Rande Erwähnung. Ein Drittel der Filme sind US-amerikanische Produktionen; das zweite Drittel teilen sich Kanada, Großbritannien und Deutschland; der Rest stammt aus anderen europäischen Ländern sowie aus Australien, Lateinamerika und Asien (Hongkong).

Den Begriff "Lesbenfilm" verwendet Schmidt pragmatisch: Bei zwei von drei Lesbenfilmen führe heutzutage eine Frau Regie; Drehbücher von Frauen seien an der Tagesordnung; Cutterinnen habe es schon immer gegeben. Auch die Zahl der Produzentinnen sei gestiegen, doch Musik und vor allem Ton und Kamera seien nach wie vor mehrheitlich in Männerhand. So sei auch zur Jahrtausendwende ein Werk von einem nahezu reinen Frauenteam die absolute Ausnahme gewesen; die Kamerafrau sei eine absolute Rarität. Aber gerade die Bedeutung der Person, die durch das Kameraauge schaue und damit dem Zuschauer ihren konkreten Blick auf die Dinge vermittle, sei nicht zu unterschätzen. Laut Schmidt ist dies zu 90% ein Mann.

Auffallend sei, dass in allen Arten von Lesbenfilmen Jugendlichkeit und Dynamik eine besondere Rolle spielen. Fast die Hälfte der Lesben im Film sei zwischen 20 und 30 Jahre alt. Zähle man die 25 Prozent der unter 20 jährigen Jugendlichen aus den Pubertätsfilmen noch hinzu, dann seien nahezu drei Viertel aller Filmlesben unter 30. Schmidt schreibt dazu: "Das sich tabulos gebende moderne Kino gibt damit ein Credo aus, das alle Lesben betrifft: Wenn schon Lesbe, dann bitte jung und hübsch. Es schreibt damit eine Diskriminierung fort, die alle Frauen im Kino angeht" (S. 14).

Die Autorin orientiert sich bei ihren Filmanalysen nicht an wissenschaftlichen Theorien, sondern vor allem an den Bildern selbst. Ihre Theorien entwickelt sie aus der Fülle ihrer Beobachtungen und Erkenntnisse, um die Suggestionskraft der Bilder verständlicher zu machen, ohne dass die LeserInnen des Buches jeden einzelnen Film gesehen haben müssen.

Im Kapitel "Der lesbische Einstieg in die Liebe und ins Bett" geht es um Blicke, Küsse und Massagen. Eine kleine Statistik zeigt unter anderem, wie sich Küsse auf die Filme verteilen: "Von vierzig Küssen außerhalb einer sexuellen Begegnung [...] werden zehn abgeschnitten, fünf ausgeblendet, neun werden mit einem 'No' quittiert, fünf werden gestört, bei dreien schwenkt die Kamera diskret weg, nach zweien reden die Frauen einfach weiter, etliche finden sowieso nur in der Phantasie statt und sechs führen an anderen Orten zum Sex" (S. 37); es werde zwar häufig geküsst, aber selten hätten die Küsse konkrete sexuelle Handlungen zur Folge. Insgesamt konstatiert Schmidt mehr Kussversuche als Küsse und interpretiert dies als weiterhin geltende Scheu vor Inszenierungen, die sich vom Tabu der lesbischen Liebe immer noch nicht gelöst hätten.

Thema eines weiteren Kapitels ist der Verbalsex. Grundsätzlich werde in Lesbenfilmen 'Sex' besonders oft und gerne problematisiert und zerredet, aber wenig praktiziert. Für Schmidt stellt das viele Reden einen festen Bestandteil einer verklemmten Inszenierung dar und wirkt zudem für die Darstellung von Liebesbeziehungen unglaubwürdig, so lange das Reden allein für lesbische Erotik steht: "Wenn lesbischer Sex im Kino auf Reden darüber reduziert wird, dann heißt das auch, daß die körperlichen Lust- und Potenzbereiche von Frauen nicht in den freien und aktiven Rang erhoben werden, aus dem heraus erst die Partnerin oder Frauen allgemein zum Ziel und Objekt sexueller Sehnsüchte, Wünsche, Begierden und Lust werden" (S. 57).

Ein anderes Kennzeichen vieler Lesbenfilme - Schmidt spricht von ca. 4/5 - sei die Dramatisierung lesbischer Beziehungen durch die Beteiligung von zumindest einer Ehe- oder hetero- bzw. bisexuellen Frau. Diese Form der Inszenierung trage einerseits zur Spannung bei und liefere der 'story' oft erst den entscheidenden Zündstoff, entspreche allerdings eher selten den Lebenserfahrungen von Lesben. Engagierte Lesbenfilme bauten vor allem darauf ihr Engagement für ein Coming-out auf; oft blieben dann am Schluss ein verlassener Mann und ein mehr oder weniger glückliches Lesbenpaar übrig.

Auch mit Beziehungs- und Pubertätsfilmen setzt Schmidt sich auseinander. Gerade Pubertätsfilme gehören für Schmidt mit zu den besten Lesbenfilmen, da sie sehr gut inszeniert seien und die Isolation und Einsamkeit in sensibler Weise nachvollziehbar machten. Die meisten Pubertätsfilme sind zudem von Frauen gedreht worden. Weniger Positives schreibt Schmidt über die Beziehungsfilme, wenn sie resümiert: "Es wäre dem Kino allgemein zu wünschen, daß lesbische Beziehungen ebenso offensiv und provokativ wie schwule Beziehungen dargestellt werden und daß sie sich für das Kino- und Fernsehpublikum zur Selbstverständlichkeit entwickeln" (S. 73).

Das ausführlichste Kapitel widmet Schmidt der Inszenierung von Sex zwischen Frauen. Hierbei untersucht sie verschiedene Symbole und Metaphern wie Natur, Vögel, Goldfische, Feuer, Wasser und Karussell. Während einige dieser Symbole auf den ersten Blick als typische Metaphern wenig überraschend erschienen, treffe das insbesondere für Goldfische weniger zu. Fische stünden allgemein häufig als Symbol für Fruchtbarkeit, Weiblichkeit und Matriarchat. Sie tauchten, speziell als Goldfische - entgegen der Realität - häufig in den Lesbenhaushalten der Filme auf. An ihrer Existenz lassen sich laut Schmidt die emotionale Befindlichkeit und die Entwicklung einer Liebesbeziehung ablesen; sie seien aber ebenfalls eine Metapher für Einsamkeit. Auch der Körpersprache widmet Schmidt ein Kapitel, indem sie die Bedeutung der Hände und Brüste in den Filmen analysiert. Hände hätten in Lesbenfilmen keineswegs einen sexuellen Charakter, sondern symbolisierten emotionale Befindlichkeiten. Und auch der Busen scheine als Lustobjekt für Frauen entgegen jeder Realität im Kino wie im Fernsehen eines der hartnäckigsten Tabus zu sein. Dazu passe, dass sexuelle Handlungen zwischen Frauen, falls sie überhaupt gezeigt würden, gerne unterbrochen werden. Schmidt unterscheidet hier zwei Kategorien der Unterbrechung: handlungsmotivierte und solche, die durch filmische Kunstgriffe wie Überblendungs- und Schnitttechnik eingeleitet bzw. verursacht werden. So werde beim Lesbensex besonders viel und gerne geschnitten. Sexualität zwischen Frauen werde in ihre Einzelteile zerlegt, in Kombination mit Großaufnahmen von Körperteilen. Das mag laut Schmidt schön anzusehen sein, aber es stellt sich die Frage, warum dies in Lesbenfilmen so häufig vorkommt. Schmidt sieht darin eine inhaltliche und eben keine ästhetische Funktionalität: "Häufig wirkt es so, als entferne sich die Leidenschaft, je häufiger geschnitten wird und je weniger die Körper sich in ihrer Ganzheit präsentieren" (S. 119).

Im Schlusskapitel mit dem Titel "Die Verharmlosung von Lesben" fasst Schmidt die verschiedenen Aspekte der Unterbewertung von lesbischer Sexualität nochmals zusammen. Mehr als 200 Fotos, häufig in Farbe und zum Teil in Bildsequenzen, illustrieren die umfangreichen Analysen und helfen Kinointeressierten, die Interpretationen besser nachzuvollziehen.

Trotzdem ist das Buch eher für Kinoliebhaberinnen und -insiderinnen lesenswert. Es werden sehr viele Filme genannt und angerissen, was sicherlich lobenswert ist, aber in der Fülle der Filme verliert frau dann doch des Öfteren den Faden. Schmidt wollte offenbar so viele Filme wie möglich in ihrer Analyse unterbringen und aufzeigen, wie viele Werke sie gesichtet hat. Am Ende findet sich zwar ein Filmregister, aber hilfreich wäre u.a. ein Anhang mit jeweils einer kurzen Inhaltsangabe gewesen, v.a. auch, weil ein Großteil der Filme sicherlich den meisten Frauen nicht bekannt ist.
 

Ingeborg Boxhammer versucht in ihren Streifzügen, hundert Jahre Lesbenfilmgeschichte Revue passieren zu lassen. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; das ist auch nicht möglich. Die Grundlage bildet die Datenbank der Autorin mit 1960 "Lesbenfilmen" (Stand Februar 2007). Ihre Definition eines Lesbenfilms ist dabei sehr weit gefasst: "[...] ist ein Lesbenfilm ein Film, in dem etwas Erotisches und/oder Sexuelles zwischen Frauen passiert, in dem lesbische Charaktere agieren, ein Blickwechsel zu lang erscheint, in dem die Reaktionen der Beteiligten auf starke Irritation oder Leidenschaft schließen lassen. Dabei kann diese Interaktion auch nur Sekunden dauern. Trotzdem bestimmen mitunter solche Sequenzen, welche Wirkung beim interessierten Publikum erzielt wird. Demzufolge könnte auch ein Film, der von Lesben viel und gern gesehen wird, als Lesbenfilm bezeichnet werden" (S. 24). Dies hängt aber wohl sehr stark von der Betrachterin selber ab, wie sie z.B. einen Blickwechsel empfindet. Boxhammer interpretiert die Tatsache, dass manche Verlage ihre Filme nicht erst als Lesbenfilme vermarkten, obwohl eine lesbische Liebesgeschichte erzählt wird, als Furcht vor Einnahmeverlusten.

Die Autorin stellt fest, dass die filmische Darstellung lesbischer Beziehungen in den vergangenen zwanzig Jahren stark zugenommen habe. Das ist sicherlich richtig, aber entscheidender scheint mir doch die Qualität der Filme bzw. der Tenor der Filme zu sein. Und wie Schmidt konstatiert Boxhammer, dass immer noch sehr viele Filmbeziehungen aus den unterschiedlichsten Gründen scheitern. Während sich bestimmte Themen wie das Coming-out großer Beliebtheit erfreuten, kämen andere Themen wie Behinderung, Gewalt in lesbischen Beziehungen, Rassismus, um nur einige Beispiele zu nennen, nicht vor.

Für die ersten fünf Jahre des 21. Jahrhunderts nennt Boxhammer die Zahl von 440 Filmen weltweit mit lesbischen Inhalten. Aber die große Mehrheit dieser Filme schaffe es, bis auf wenige Ausnahmen, nicht in die Kinos. So macht Boxhammer bei ihrem Streifzug die interessierte Kinogängerin und Filmliebhaberin mit einer großen Zahl von Filmen bekannt, von denen diese bislang noch nie gehört hat. Es fällt allerdings ein bisschen schwer, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen, denn die Autorin ordnet ihr Material unter thematischen Aspekten und innerhalb dieser in chronologischer Reihenfolge. Manche Filme werden sehr langatmig beschrieben; bei anderen fallen die Inhaltsangaben mit nur wenigen Zeilen zu knapp aus. Dabei bleibt unklar, warum die Autorin bestimmte Filme so ausführlich darstellt und andere eben nicht. Selbstverständlich werden die Lesbenfilmklassiker wie Mädchen in Uniform ausführlich besprochen. Weiterhin stellt Boxhammer wichtige Regisseurinnen wie Barbara Hammer, Jan Oxenberg, Chantal Akerman und Ulrike Ottinger als "lesbische Avantgarde" vor.

Boxhammers Themenpalette reicht von der Suche nach lesbischen Bildern des Begehrens über Probleme des Coming-out bis zur Darstellung von Lesben in Beziehungen sowie in Geschichte und Politik. Falls man gezielt nach einem Film sucht, hilft das Namens- und Titelregister am Schluss. Das große Plus dieses Buchs ist sicherlich die Anzahl und Vielfalt an Filmen, die besprochen werden, auch wenn es vielleicht doch ein wenig befremdlich erscheint, in einem Buch über Lesbenfilmgeschichte u.a. eine Besprechung der Emanuelle-Filme vorzufinden. Die insgesamt sehr kurzen Interpretationen bleiben meist recht vage und sind sehr allgemein gehalten. Jedoch scheint Boxhammers Anliegen weniger gewesen zu sein, eine wissenschaftliche Abhandlung zu verfassen, sondern wohl eher, so viele Filme wie möglich vorzustellen. So fallen u.a. auch die Hinweise zum Forschungsstand sehr knapp aus. Vielleicht wäre ein Lexikon die bessere, da benutzerfreundlichere Variante gewesen. So ist es eben ein dicker Schmöker für Filmfreaks (oder welche, die es werden wollen) geworden, dem man deutlich die Filmbegeisterung der Autorin anmerkt, die in einer immensen Fleißarbeit ihr Wissen zusammengetragen hat.

Noch eine Anmerkung zum Schluss: Es handelt sich um das erste Buch des Mäzena-Verlages, und das ist ihm leider auch anzumerken. So fällt die Bebilderung recht lieblos und willkürlich aus: Die wenigen Bilder haben keine besonders große Aussagekraft und es ist auch unklar, warum manche Filme bebildert sind, andere nicht. Bei der Gestaltung des Buchumschlags ist bedauerlicherweise im Untertitel ein nicht zu überlesender grammatischer Fauxpas unterlaufen.




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