Ulrike Repnik
Die Geschichte der Lesben- und Schwulenbewegung in Österreich

(Feministische Theorie, Band 48), Wien: Milena Verlag 2006, 248 S., € 18,90

Cover

 

Rezension von Sonja Niederacher, Wien

Erschienen in Invertito 9 (2007)

Es tut sich viel in Europa: Die rechtliche Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften ist mittlerweile in vielen europäischen Ländern wenn nicht schon durchgesetzt, dann zumindest auf der politischen Agenda. Wie die Ereignisse im Frühjahr dieses Jahres in Polen, Moskau und Rom zeigen, wird in den Medien die Lage der Demokratie und der Menschenrechte verstärkt an der Haltung eines Staates gegenüber den Homosexuellen diskutiert. Es spricht viel dafür, dass die rechtliche und gesellschaftliche Situation sich langfristig zugunsten von Lesben und Schwulen entwickelt. Der Zeitpunkt scheint geeignet, Rückschau auf die vergangenen 30 Jahre zu halten: Ulrike Repnik begibt sich auf die Spuren der Bewegung, die diese gesellschaftlichen Veränderungen gefordert und vorangetrieben hat. Diese für die Publikation überarbeitete Diplomarbeit in Politikwissenschaft ist die erste umfassende wissenschaftliche Studie, die sich im Überblick der Geschichte von lesbischen und schwulen Initiativen und Organisationen in Österreich widmet.

Eingangs erläutert die Autorin, wie Homosexualität den Weg vom Strafgesetzbuch ins Zivilrecht fand. Das österreichische Strafgesetz von 1803 bzw. 1852 verbot nach § 129 gleichgeschlechtliche Sexualität von Männern und Frauen. Diese Regelung blieb bis 1971 in Kraft. Als in Österreich während des Nationalsozialismus die deutschen Reichsgesetze eingeführt wurden, war dieser Paragraph weiterhin gültig, während in Deutschland nach § 175 nur "Unzucht zwischen Männern" verboten war. Nach 1945 setzte sich die strafrechtliche Diskriminierung fort, zwischen 1950 und 1970 kam es zu rund 13.000 Verurteilungen, 95 Prozent davon betrafen Männer. Mit der kleinen Strafrechtsreform 1971 wurde die Homosexualität entkriminalisiert, an die Stelle des Totalverbots traten ein Werbeverbot, das Verbot der Prostitution und ein Mindestalter für sexuelle Handlungen, wobei Letzteres nur Männer betraf. Österreich gehörte zu den letzten europäischen Ländern, die die strafrechtliche Verfolgung aufhoben, wie die Autorin betont.

Im Hauptteil des Buches folgt Ulrike Repnik der Entwicklung der Lesben- und Schwulenbewegung, die sie in ihrer theoretischen Einführung in den Kontext von sozialen Bewegungen stellt. Die Frage, ob überhaupt von einer Lesben- und Schwulenbewegung gesprochen werden kann, beantwortet sie vorneweg mit einem Nein und zeigt in der Folge auf, wie unterschiedlich die Interessen und Strategien der einzelnen Initiativen waren. Das in der Einleitung formulierte Anliegen, sich jeglicher Homogenisierung von Lesben und Schwulen und ihrer Organisationen entgegenzustellen, gelingt ihr trefflich in der Darstellung der verschiedenen Positionen und Diskussionsstränge. Neben grundlegendem Quellenstudium führte die Autorin Interviews mit 15 maßgeblichen ProtagonistInnen der Homosexuellenbewegung und anderen Persönlichkeiten, die politisch mit dem Thema zu tun hatten. Die persönlichen Erinnerungen, die in zum Teil langen Zitaten abgedruckt sind, zeichnen ein höchst anschauliches Bild der Situationen und Veränderungen innerhalb dieser Bewegung und ihres Verhältnisses zur Öffentlichkeit.

Ähnlich wie bei der Ersten Frauenbewegung war die erste Generation der Lesben- und Schwulenbewegung nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr öffentlich präsent. Es folgten die 1950er Jahre mit dem Rückgriff auf traditionelle Geschlechterrollen, die keinen Platz ließen für alternative Gesellschaftskonzepte. Die sich in der westlichen Welt in den 1960er Jahren zaghaft formierenden Bewegungen verband das Anliegen, gegen rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierungen zu kämpfen. In Österreich bildete sich im europäischen Vergleich erst spät eine Homosexuellenbewegung, der Einfluss der katholischen Kirche auf Gesellschaft und Politik war bis in die 1970er Jahre noch sehr massiv. Die 1968er-Revolte streifte Österreich nur am Rande, bot aber die Möglichkeit, Protesterfahrung zu sammeln und sie für die eigene Sache zu nutzen.

Zunächst waren es schwule Männer, die sich organisierten, um sich öffentlich für eine Entkriminalisierung von Homosexualität einzusetzen. Lesbische Frauen folgten später und formierten sich zum einen innerhalb der bereits bestehenden Schwulenorganisationen und zum anderen in der ebenfalls um diese Zeit sich formierenden Zweiten Frauenbewegung. Der Einbindung von Lesben in die Schwulenbewegung gingen heftig geführte Kontroversen voraus, zu unterschiedlich waren die jeweiligen Ziele und Konzepte. Während Schwulenaktivisten im Allgemeinen Akzeptanz als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft suchten, strebten die lesbischen Aktivistinnen nach einer Veränderung der Gesellschaft als solcher, sie trafen sich hier mit der feministischen Bewegung im gemeinsamen Kampf gegen das Patriarchat. Aber auch die Verbindung mit Aktivistinnen der Frauenbewegung in gemeinsamen Initiativen war konfliktgeladen, wie beispielsweise in der AUF (Aktion unabhängiger Frauen) in Wien oder dem 1977 eröffneten Frauencafé, ebenfalls in Wien.

Ulrike Repnik wirft punktuell auch einen Blick auf die Lesben- und Schwulenbewegung in anderen europäischen Ländern und vermag so ihr Thema in einem breiteren Kontext zu verorten. Was Österreich betrifft, konzentriert sie sich in ihrer Darstellung auf Wien, die Situation im restlichen Österreich streift sie dagegen nur kursorisch. Zwar ist Wien nicht nur Bundeshauptstadt, sondern zweifellos auch die Hauptstadt der österreichischen Lesben und Schwulen, die es vom konservativen Land in die weltoffenere Großstadt zieht, aber auch die vergleichsweise wenigen Initiativen in anderen Bundesländern hätten eine genauere Beachtung durchaus verdient, nicht zuletzt um dem Buchtitel gerecht zu werden.

In den 1980er Jahren wurde AIDS zum Anstoß, politisch aktiv zu werden. Es entstanden unzählige neue Initiativen; Prävention, Aufklärung und Hilfe für die Betroffenen standen im Zentrum der Aktivitäten. Die Bewegung differenzierte sich inhaltlich und die Professionalität der Arbeit sowie des öffentlichen Auftretens stieg. Daneben vollzog sich ein Sinneswandel, statt sexueller Revolution wurden nun Monogamie und Treue und damit die Übernahme eines bürgerlichen Lebensstils und Partnerschaftsmodells propagiert. Die Autorin sieht in diesem durch AIDS motivierten Sinneswandel den Wegbereiter für die in den folgenden Jahren erhobene Forderung nach der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Sie unterzieht das aktuelle Bestreben, sich bestehenden Normen angleichen zu wollen, anstatt sie zu verändern, einer kritischen Bewertung. Trotz des derzeitigen Trends zu rechtlichen Verbesserungen sieht Ulrike Repnik keinen Grund, sich zufrieden zurückzulehnen: "Erreicht ist aber noch lange nicht alles, der feministische und queere Kampf geht weiter." Hoffentlich, bleibt da nur zu sagen.




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