anders Leben – Lesben im Alter

Dokumentation, Deutschland 2005, 60 Min. Regie, Schnitt: Isabel Rodde. Kamera: Alexandra Czok, Beate Middeke, Andreas Buhr, Isabel Rodde. Produktion: medien konkret, Büro für Kultur- und Medienprojekte, Hannover

 

Cover

 

Rezension von Heike Schader, Garlstorf

Erschienen in Invertito 9 (2007)

Drei Frauen, drei Aussagen, so beginnt die Dokumentation anders Leben – Lesben im Alter aus dem Jahr 2005:

"Ich galt als charmanteste Wirtin […] von Berlin, das kann man sich gar nicht vorstellen."

"Ich war Leistungssportlerin, das war eine Minderheit, ich war Bundestrainerin – also Bundestrainer ist schon eine Minderheit, Bundestrainerin ist 'ne noch größere Minderheit, na ja gut, und jetzt bin ich auch noch 'ne lesbische Bundestrainerin gewesen."

"Lesbisches Leben ist für mich nicht nur Sexualität mit Frauen zu leben statt mit Männern, sondern wirklich ein anderes Frauenleben zu leben – ja – die ganzen vorgegebenen Strukturen in Frage zu stellen."

Die Regisseurin Isabel Rodde [1] porträtiert in ihrer preisgekrönten Dokumentation drei Frauen in Sequenzen von jeweils ca. 20 Minuten. Seit 1993 macht Isabel Rodde bereits Kurzfilme, außerdem Dokumentationen wie zum Beispiel Wie Schraube an Schüttelrutsche … (1994) und von frau zu frau (2003).

Die Lebensgeschichten der Frauen in der Dokumentation anders Leben – Lesben im Alter könnten kaum unterschiedlicher sein. Zuerst wird Christel, 71, vorgestellt. Sie führt mit ihrer Freundin Lisa die Frauenpension Bethingen an der Nordsee. Christel eröffnete bereits 1963 ihre erste Lesbenkneipe in West-Berlin. Später folgten weitere, darunter auch "Die Zwei", die weit über Berlins Grenzen hinaus bekannt war. Christel verbrachte ihr Leben innerhalb der lesbischen Subkultur, und heute ist ihr klar, dass sie zu wenig für ihre Alterssicherung getan hat. Bethingen ist Wohnort der beiden, und der Gewinn der Frauenpension muss die fehlende Rente ersetzen. Ein Alter ohne Ruhestand.

Die zweite der Frauen ist Hanne, 66, die mit ihrer Freundin Irmelies in einem Dorf in der Nähe von Hildesheim im eigenen Einfamilienhaus wohnt. Sie war Hochleistungssportlerin in der DDR und wurde 1959 "republikflüchtig". Erst mit Mitte dreißig hat sie erkannt, dass sie lesbisch ist. 1969 wurde sie neben den männlichen Bundestrainern die erste Bundestrainerin der BRD. Hanne und ihre Freundin stellten sich, als sie ins Dorf zogen, als lesbisches Paar vor und fühlen sich, soweit es möglich ist, im Dorfleben integriert. Illustriert wird diese Aussage unter anderem damit, dass wir sie singend und schunkelnd auf einem Fest, in einer Gruppe von Frauen, sehen.

Die dritte der Frauen ist Wienke, 73, die in dem Lesben-Wohnprojekt "Sappho-Wohnprojekt" in Hannover lebt. Von ihrer ersten Freundin wurde Wienke verlassen. Eine neue Freundin fand sie nicht und lernte stattdessen einen Mann kennen, den sie im Alter von 28 Jahren heiratete. Es folgte ein Lebensabschnitt, in dem sie versuchte, die perfekte Hausfrau und Mutter zu sein. Als am 14. Mai 1970 Andreas Baader aus der Haft befreit wurde, war ihre Schwester Ulrike Meinhof dabei. Ab diesem Moment wurden die politische Auseinandersetzung und die Unterstützung ihrer Schwester ein wichtiger Teil ihres Lebens. 1972 trennte sie sich von ihrem Mann und wenig später verliebte sie sich erneut in eine Frau. Mittlerweile war sie Direktorin einer Sonderschule. Aus Angst, den Job zu verlieren, verheimlichte sie die Liebesbeziehung zu ihrer Freundin.

Das Sappho-Wohnprojekt, in dem sie heute lebt, ist auch der Versuch, die politischen Ideale zumindest zu einem Teil zu verwirklichen. Ziel ist es, dass die Wohnungen, die sich zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen noch in Privatbesitz befanden, in das Stiftungseigentum überführt werden sollen. "Ein kleines Stück sozialistischer Traum", wie Wienke es formuliert.

Angereichert durch bewegtes und unbewegtes Bildmaterial aus dem Leben der Frauen, sind spannende und informative Lebensberichte entstanden. Dabei konzentrieren sich die Porträts nicht, wie es der Filmtitel vermuten lässt, auf das Leben im Alter, sondern zeigen Aspekte aus der gesamten Biografie der Interviewpartnerinnen. Einen Eindruck von der aktuellen Situation der Frauen bekommen die ZuschauerInnen dadurch, dass die Interviews im privaten Wohnraum gefilmt wurden. Außerdem werden aktuelle Alltagsszenen aus dem Leben der drei Frauen gezeigt.

Es gelingt dem Film, zum Nachdenken anzuregen. Dieser Effekt wird auch dadurch unterstützt, dass die Fragen, die gestellt wurden, nicht zu hören sind und somit ihr Inhalt unklar bleibt. Außerdem werden die Unterschiede zwischen den Biografien, die Lebensentscheidungen und -weisen der Interviewten nicht kommentiert oder bewertet. Bedauerlich ist dagegen, dass die Auswahl der Musik nicht erklärt wird. Es wäre eine interessante Zusatzinformation, ob diese von den interviewten Frauen oder von Isabel Rodde getroffen wurde.

anders Leben – Lesben im Alter wirft Fragen auf. Unweigerlich wird das eigene Leben überprüft. Aber auch der Entwurf von Zukunftsutopien, die Bedeutung von Solidarität und Fragen des lesbischen Selbstverständnisses werden thematisiert, bleiben ungeklärt und bieten somit einen guten Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen.

Der Film hat verschiedene Preise bekommen: 2005 bei den Lesbisch-schwulen Filmtagen in Hamburg die Eurola (den Preis für den besten europäischen Film), im selben Jahr beim Perlen Festival in Hannover den Audience Award und 2006 beim Queer Film Festival in Bremen ebenfalls den Audience Award.

 

[1] Filmografie von Isabel Rodde: seit 1993 diverse Kurzfilme, u.a.: Schiefe Häuser in Schonnebeck, Michigan-Blues. Außerdem verschiedene Dokumentationen: Wie Schraube an Schüttelrutsche … (1994), von frau zu frau (2003), alt und jung – hannover filmt queer (2005). Anleitung diverser Jugend-Video- und Dokumentarfilmprojekte zum Thema Rassismus/Gender (seit 1994).




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