Klaus van Eickels:
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt.
Die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter

Stuttgart: Thorbeke Verlag 2002, 463 S., € 44

Rezension von Albrecht Diem, Amsterdam/Katholische Universität Nijmegen

Erschienen in Invertito 5 (2003)

Bis vor wenigen Jahrzehnten beschrieb Geschichtsschreibung vor allem die Geschichte der Herrschenden. Die Welt des Mittelalters war, so konnte man den Eindruck gewinnen, vor allem bevölkert durch Könige, Päpste, Herzöge und Bischöfe. In den letzten Jahren hat sich das Forschungsinteresse glücklicherweise weithin gewandelt. "Gewöhnliche" Männer und Frauen, ihre Lebensumstände und Mentalitäten rückten mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses mittelalterlicher Forschung. Im Lichte dieser Entwicklung ist Klaus van Eickels Buch Vom inszenierten Konsens beinahe schon ein Wagnis: Es untersucht die politischen Rituale zwischen den englischen und den französischen Königen und ihre Repräsentation in den Quellen für die Periode zwischen dem Beginn der normannischen Königsherrschaft in England im Jahr 1066 und dem Anfang des hundertjährigen Krieges im Jahr 1337. Noch gewagter ist, dass van Eickels versucht, dieses überaus traditionelle Forschungsfeld im Lichte neuerer kulturanthropologischer Ansätze zu betrachten, aber auch auf Grundlage von Ansätzen der Queer Theory und Erkenntnissen zu Forschungen der mittelalterlichen Homosexualitäten.

Mit der Krönung des normannischen Herzogs Willhelm zum englischen König waren die englischen Könige durch ihren Festlandbesitz zugleich Vasallen des französischen Königs. Nach der Heirat Eleonores von Aquitanien mit Heinrich I. von England (1152) beherrschten die englischen Könige als Grafen und Herzöge selbst einen Großteil des französischen Königreiches. Diese machtpolitische Konstellation, die Tatsache, dass der englische König einerseits rechtlich Lehensmann des französischen war, zugleich aber als solcher die Macht über einen Großteil seines Herrschaftsgebietes hatte, führte zu einer Reihe von Konflikten, die zum Teil militärisch ausgetragen wurden, häufiger aber, mit der Zielsetzung einer dauerhaften Stabilität, in Verhandlungen zwischen den beiden Königen friedlich beigelegt wurden. Van Eickels macht in seinem Buch deutlich, dass eine traditionell am Lehensrecht orientierte Analyse weder den Konflikten selbst noch den Ritualen ihrer Beilegung gerecht wird und dass es nötig ist, neben lehensrechtlichen und verwandtschaftlichen Bindungen mit ihren spezifischen Machtgefällen auch noch die Kategorie der politischen Freundschaft (amicitia) einzuführen. Ausgehend von dieser amicitia ist es möglich, die in den Quellen beschriebenen politischen Rituale zwischen den Königen zu analysieren.

Sozusagen als Nebenprodukt liefert sein Buch auch wichtige neue Erkenntnisse zur Geschichte homosexuellen Verhaltens im Mittelalter und ihrer neuzeitlichen Rezeption. Eine Vielzahl immer wieder angeführter "Belege" zur "Homosexualität" im Mittelalter findet sich im Umfeld des englisch-französischen Verhältnisses. Immer wieder kann Klaus van Eickels deutlich machen, dass die Äußerungen tiefer emotionaler Bindung und der Austausch von Küssen und körperlichen Zärtlichkeiten Teil des Ausdrucksrepertoires politischer Freundschaften bildete, die in den Quellen nur dann als skandalös dargestellt wurden, wenn der jeweilige politische Kontext als skandalös empfunden wurde, jedoch so gut wie nie mit homosexuellem Verhalten, sodomia, in Zusammenhang gebracht wurden. Ob dieses politische Repertoire der Ausdrucksweise mann-männlicher Zuneigung tatsächlich auch genutzt wurde, um homosexuelles Begehren in einem von der Außenwelt akzeptieren Rahmen auszuleben, wird sich aufgrund der Quellenlage wahrscheinlich niemals beweisen lassen.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Klaus van Eickels der Beschreibung des "effeminierten" Sohns Wilhelms des Eroberers, des "Liebesverhältnisses" zwischen Richard Löwenherz und Phillip II. von Frankreich und der Freundschaft zwischen Piers Gaveston und Edward II. Vor allem im Rahmen der kritischen Rezeption von John Boswells Studie Christianity, Social Tolerance and Homosexuality wurde an der "homosexuellen" Auslegung der Quellen zu diesen Ereignissen und Personen berechtigte Kritik geübt und deutlich gemacht, dass die Übertragung moderner Kategorien von Homosexualität zu irreführenden Interpretationen führt. Klaus van Eickels großes Verdienst ist, dass er aus der Perspektive des politischen Historikers eine Antwort sucht auf die Frage, um was es sich dann handelt, wenn nicht um "Homosexualität". Was traditionellen Historikern "verdächtig" erschien, Anlass zu vorsichtig geäußerten Mutmaßungen, zu peinlichem Schweigen oder skandalösen Enthüllungen bot, ist für Klaus van Eickels der Schlüssel zum Verständnis bislang kaum beachteter politischer Rituale, die für die Entwicklung hochmittelalterlicher Politik von zentraler Bedeutung waren.

Besonders eindrucksvoll zeigt van Eickels die Gefahr einer missverständlichen Interpretation anhand der Beschreibungen, wie der junge zukünftige englische König Richard (Löwenherz) und der französische König Phillip II. äußerst liebevoll zusammen in einem Bett schliefen - sehr zum Missfallen von Richards Vater, König Heinrich II. Mit einer Vielzahl von Belegen zeigt van Eickels, dass das gemeinsame Schlafen in einem Bett einschließlich des Austausches von Zärtlichkeiten ein durchaus übliches Element des Repertoires zur Beilegung von Konflikten war. Heinrichs Missfallen hatte weniger mit dem zu tun, was die jungen Könige im Bett machten, sondern eher mit den politischen Implikationen eines gegen seinen Willen vollzogenen Friedensschlusses.

Leider ist das Buch aufgrund seines (oft wenig deutlichen) thematischen und nicht chronologischen Aufbaus vor allem für Nicht-FachhistorikerInnen manchmal schwer zugänglich. Die Kapitel zu homosexuell interpretierten Episoden spielen sicherlich eine zentrale Rolle in van Eickels Analyse mittelalterlicher politischer Rituale. Wer allerdings mehr an diesem Aspekt interessiert ist als an einer Geschichte der französisch-englischen Beziehungen, muss die entsprechenden Stellen etwas mühsam zusammenklauben. Da sich der Seitenumbruch des Buches nach Fertigstellung des Registers noch einmal geändert hat, ist das Register unbrauchbar. Eine korrigierte Fassung zum Einkleben kann beim Verlag bestellt oder auf der Website des Verlages heruntergeladen werden.

Eine Separatveröffentlichung der spezifischen Forschungsergebnisse zu mann-männlichem Verhalten würde Klaus van Eickels die Gelegenheit geben, seinen Forschungen einen weiteren Aspekt zuzufügen, der nicht unbedingt in den Zusammenhang der englisch-französischen Beziehungen passt, wohl aber für das Verständnis mann-männlicher Liebe und Politik von zentraler Bedeutung ist: die Rolle sexueller Denunziation als politisches Mittel, sowohl im Mittelalter als auch in der mittelalterlichen Historiographie. Sexuelle Denunziation, insbesondere die Unterstellung sodomitischen (= homosexuellen) Verhaltens, traf Herrscher im gesamten Mittelalter und sicherlich nicht unbedingt diejenigen, deren Freundschaften heutzutage zu Mutmaßungen über Homosexualität geführt haben. Mögliche Wechselwirkungen mit den Beschreibungen politischer amicitia sind bislang noch nicht untersucht.




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