Hubert Kennedy:
Der Kreis - Le Cercle - The Circle: Eine Zeitschrift und ihr Programm

(Bibliothek rosa Winkel, Bd. 19), Berlin: Verlag rosa Winkel 1999, übersetzt aus dem Englischen von Wolfram Setz, 352 S., € 16,36

Rezension von Stephan F. Miescher, Santa Barbara/Californien

Erschienen in Invertito 4 (2002)

Als Teil der Vorbereitungen für die Ausstellung Männergeschichten: Schwule in Basel 1930-1980 schrieb ich 1986 mit Thomas Löw eine Seminararbeit über das von der Schweizer Zeitschrift Der Kreis in den Jahren 1947-1957 propagierte homosexuelle Leitbild.[1] Damals bestand außer dem von Joachim S. Hohmann und Erich Lifka herausgegebenen Band[2] keine Literatur zu dieser außerordentlich Monatszeitschrift, welche von 1932 bis 1967 in Zürich zuerst unter den Namen Freundschafts-Banner, Schweizerisches Freundschafts-Banner und Menschenrecht, dann ab 1943 zweisprachig als Der Kreis - Le Cercle und ab 1954 dreisprachig als Der Kreis - Le Cercle - The Circle erschien. Während sich die Vorgänger bis 1942 an homosexuelle Männer und Frauen wandten, richtete sich der nur im Abonnement erhältliche Kreis ausschließlich an homosexuelle Männer. Betrug die Auflage im Jahre 1942 200 Exemplare, konnte sie bis Ende der Fünfziger Jahre auf 1.900 gesteigert werden, von denen 700 Hefte ins Ausland verschickt wurden. Während der Zeit des Nationalsozialismus waren die Vorgänger die einzige deutschsprachige Zeitschrift für homosexuelle Frauen und Männer. In den Nachkriegsjahren wurde der Kreis die bedeutendste europäische Homosexuellenzeitschrift, welche sich für die rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Anerkennung von Homosexuellen einsetzte und ein positives Selbstgefühl förderte. Seit den siebziger Jahren ist die Bedeutung des Kreis für die Homosexuellengeschichte, besonders unter der jüngeren Generation, in Vergessenheit geraten. Deshalb ist es erfreulich, dass aufgrund der Anstrengungen des Verlages rosa Winkel nun einige Publikationen das Wirken dieser internationalen Zeitschrift einem größeren Publikum vorstellen. Karl-Heinz Steinle veröffentlichte 1999 einen Katalog zur Kreis-Ausstellung im Schwulen Museum Berlin.[3] Im gleichen Jahr erfolgte die von Wolfram Setz sorgfältig redigierte Übersetzung Hubert Kennedys Monographie, basierend auf einer Studie der Kreis-Jahrgänge 1946-1967.

Nach einem Überblick über die Anfänge in den dreißiger Jahren - dabei fehlt ein Hinweis auf das Buch von Ilse Kokula und Ulrike Böhmer[4] - folgt ein Kurzportrait des Leiters der Zeitschrift, des Schauspielers und Regisseurs Karl Meier (1897-1974), genannt "Rolf."[5] Dieser stieß 1934 in Zürich zum politisch engagierten Kabarett Cornichon und begann auch seine Mitarbeit beim Schweizerischen Freundschafts-Banner. Von 1942 bis 1967 zeichnete "Rolf" als Kreis-Herausgeber und hat dabei - wie Kennedy anfügt -"'Großes' geleistet". "Rolf" verfasste nicht nur zahlreiche Beiträge, sondern wirkte als "Berater und Helfer seiner in Schwierigkeiten aller Art geratenen 'homophilen Kameraden'" (45) und diente als internationale Koordinationsstelle "homophiler" Organisationen in Europa und Nordamerika. Eine detaillierte Biographie, welche "Rolfs" vielfältiges Wirken für eine homosexuelle Minderheit in den mittleren Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts (sowie als Karl Meier in seiner Rolle als Dialektschauspieler, Regisseur und Förderer eines schweizerischen Volkstheater) erforscht, bleibt ein Desiderat für die Aufarbeitung einer europäischen Homosexuellengeschichte.
Kennedys Vorstellung einzelner Autoren mit knappen Würdigungen ihrer literarischen Beiträge trägt zu einem besseren Verständnis der Zeitschrift bei. Kurzgeschichten gehörten zum "Kernstück des Kreis" (55), insbesondere in den englischen und französischen Abteilungen. "Rolf" betreute den deutschen Teil, "Charles Welti" (der Bankier Eugen Laubacher - die graue Eminenz hinter dem Kreis) den französischen und ab 1955 "Rudolf Burkhardt" (Rudolf Jung, 1907-1972) den englischen. Kennedy gelingt es, mehrere Pseudonyme zu entschlüsseln, beispielsweise im englischen Teil das von "Hadrian" (Fitzroy Davis, 1912-1980) sowie diejenigen von James Steward (1909-1993), der seine 55 Originalbeiträge mit verschiedenen Namen (u.a. "Philip", "Ward Stames", "John McAndrews") zeichnete. Da der Kreis keine Honorare zahlte, fehlen "große" Namen unter den Ersterscheinungen. Im Kreis wurden eher literarische Karrieren junger Autoren initiiert oder zumindest gefördert. Gemäß den redaktionellen Vorstellungen von "Anständigkeit" durften Beschreibungen sexueller Handlungen nicht zu explizit ausfallen, was den Ausdrucksmöglichkeiten der Autoren Grenzen setzte. Steward beklagte sich, eine Erektion dürfe im Kreis weder erwähnt noch abgebildet werden, deshalb begann er in den sechziger Jahren, seine erotischen Erzählungen an die dänischen Magazine amigo und eos zu senden.

Obwohl die deutschsprachigen Kreis-Leser zahlenmäßig überwogen, war nur die Hälfte jedes Heftes in Deutsch. Als Hauptautor der deutschen Abteilungen zeichnete "Rolf" (gelegentlich unter "Rudolf Reiner", "Karl Pfenniger" und "Gaston Dubois"), der Leserzuschriften, Kurzgeschichten, Illustrationen und politische Ereignisse kommentierte. "Rolf" veröffentlichte einige Kurzgeschichten, meist moralische Parabeln über das einsame Leben von "Homoeroten" ohne Liebe. Kennedy löst auch Pseudonyme deutscher Autoren auf, darunter Werner Schmitz aus Aachen, der acht Kurzgeschichten als "Larion Gyburc-Hall" veröffentlichte, und Heinrich Eichen (1906-1987) mit Beiträgen als "Heinz Birken". Der Journalist Johannes Werres (1923-1990) gehörte mit regelmäßigen Beiträgen als "Jack Argo", "Donald Eck" und "Norbert Weißenhagen" zu den prominentesten deutschen Autoren. Der Kreis druckte homoerotische Gedichte berühmter Autoren (u.a. Carpenter, Cocteau, George, Hölderlin, Lorca, Shakespeare, Wedekind, Whitman), einige erstmals in deutscher Übersetzung. Kennedy notiert die wenigen Überschneidungen zwischen Kreis und den homosexuellen Publikationen der zwanziger Jahre, obwohl "Rolf" der Herausgeber Adolf Brand (Der Eigene) und Magnus Hirschfeld (Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen) gedachte und damit eine direkte Kontinuität mit diesen älteren Zeitschriften herstellte. Bemerkenswert für Kennedy ist das geringe Interesse am Werk des schottisch-deutschen Schriftstellers John Henry Mackay (1864-1933). Seine Schriften zur Knabenliebe, veröffentlich unter "Sagitta", waren für die Kreis-Redaktion zu anstößig.

Kurz fällt bei Kennedy die Darstellung der französischen Abteilung aus, welche in der Vorgängerzeitschrift Menschenrecht bereits 1941 eingeführt wurde. Zudem fehlt eine Analyse der Beiträge dieser meist aus Frankreich stammenden Autoren. Kennedy beschränkt sich auf den Wiederabdruck eines von "Charles Welti" verfassten Rückblicks - im französischen Original und (hier) in deutscher Übersetzung - aus dem letzten Heft (Dezember 1967). Anscheinend bildet die Dreisprachigkeit des Kreis für heutige Leser eine nicht zumutbare Herausforderung. Während Englisch nur im Original zitiert wird, hat der Herausgeber dieser Ausgabe entschieden, alle französischen Zitate auch ins Deutsche zu übertragen.

Im Hauptteil seiner Monographie legt Kennedy eine ausführliche Schilderung in chronologischer Abfolge von "Ereignissen und Personen der 'Homophilenbewegung'" (13) dar, dokumentiert im Kreis von 1946 bis 1967. In den fünfziger Jahren genossen Homosexuelle in der Großstadt Zürich eine gewisse Freizügigkeit. Zu den Kreis-Festen trafen sich Hunderte von Abonnenten und ihre Gäste aus dem In- und Ausland. Im Gegensatz zu den umliegenden Ländern wurden homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen in der Schweiz mit der Einführung des eidgenössischen Strafgesetzbuchs von 1942 nicht mehr bestraft. Strafbar blieben allerdings die "Verführung" von Jugendlichen im Alter von 16 bis 20 Jahren zu gleichgeschlechtlichen Handlungen, die Ausnutzung einer Abhängigkeit sowie die homosexuelle Prostitution. Im Kreis gab es keine Forderungen nach einer Änderung dieser Bestimmungen. "Rolf" mahnte 1953 seine Leser, "gesetzliche Tolerierung bedeutet noch nicht die gesellschaftliche, die moralische. [...] Isolieren wir uns freiwillig und leben wir unser Leben einstweilen ruhig neben der Gesellschaft" (151f.). Die Zeitschrift berichtete über Bemühungen um Gesetzesreformen in Ländern mit Kreis-Abonnementen. Vorgestellt wurden neue wissenschaftliche Studien wie die einflussreichen Kinsey-Reports zur männlichen und weiblichen Homosexualität von 1948 und 1953, deren Auszüge im Kreis erstmals auf Deutsch erschienen, sowie die Arbeiten der deutschen Mediziner Rudolf Klimmer (1905-1977) und Hans Giese (1920-1970). Die stets gut informierte Kreis-Redaktion berichtete ihren Lesern über Neugründungen von europäischen und amerikanischen "homophilen Organisationen" und kommentierte die anhaltenden Verfolgungen Homosexueller in Deutschland, Österreich und den USA. Zu Beginn der sechziger Jahre verschlechterte sich in Zürich das Klima für Homosexuelle. Es kam zu Razzien im "Strichermilieu" und zu einer Hetze in der Presse gegen Homosexuelle, wobei der Kreis sein Clublokal und so die Möglichkeit, große Feste zu organisieren, verlor. Damit fiel eine wichtige Einnahmequelle weg. Obwohl 1966 ein Clublokal in eigenen Räumen eröffnet wurde, war das Ende der Zeitschrift, mit ihren literarischen Texten und züchtigen Bildern zunehmend an Lesern verlierend, nicht mehr aufzuhalten. Auf einer Mitgliederversammlung der lokalen Abonnenten im Oktober 1967 beschloss die jüngere Generation, das Lokal weiterzuführen, die Zeitschrift aber zum Jahresende einzustellen.

Kennedys Entscheidung, den Hauptteil über die "Entwicklung der 'homophilen Bewegung'" chronologisch anzuordnen, erlaubt ein schrittweises Verfolgen der Berichterstattung im Kreis. Dank des Einschubes ausführlicher Zitate, teils vollständiger Artikel, erhält seine Studie zunehmend den Charakter eines Lesebuches. In einem anschließenden Kapitel greift Kennedy die von Löw und mir vorgeschlagene Interpretation eines vom Kreis propagierten Leitbildes des "idealen Schwulen" auf. Dabei wandte sich die Zeitschrift nicht an das homosexuelle Kollektiv, sondern appellierte an Eigenverantwortung und Zurückhaltung jedes Einzelnen durch Anpassung an die vorherrschenden Normen der heterosexuellen Mehrheit. Mit Textauszügen zeigt Kennedy die redaktionelle Kritik an Strichern sowie ein gewisses Verständnis gegenüber Tunten, so lange diese in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit auf sich zögen. Um diesen "ethischen Imperativ des Kreis" (13) nachzuzeichnen, zitiert Kennedy "Rolfs" 1961 in Deutschland gehaltenen Vortrag zur "Ethik der Freundesliebe", der in einem leidenschaftlichen Plädoyer für monogame Beziehungen, "die unantastbare Verbindung zwischen Freunden, d.h. die Ausschließlichkeit einer Liebe zwischen ihnen" (286), mündet. Die abschließenden Kapitel zur Knabenliebe und zu den Bildern sind thematisch gestaltet. Neues enthält Kennedys Diskussion zum Eros paidikos. Obwohl er argumentiert, das Thema Knabenliebe sei im Kreis nur am Rande berührt worden, zeigen die vielen Zitate doch auf, wie oft - wenn auch nicht im Sinne Kennedys - sich die Zeitschrift (vor allem "Rolf") dazu äußerte. Eine thematische Anordnung statt des langen chronologischen Abrisses, hätte wohl geholfen, das Buch nicht nur analytischer zu konzipieren, sondern es auch als Nachschlagewerk zur europäischen Homosexuellengeschichte der Nachkriegszeit zugänglicher zu machen. Folgende Themenkreise hätten sich dazu angeboten: Verfolgung Homosexueller, Entstehung homophiler Organisationen (inwiefern wirklich von einer Bewegung gesprochen werden konnte, müsste genauer untersucht werden), wissenschaftliche Diskurse zur Homosexualität, gleichgeschlechtliche Beziehungsformen sowie der Kreis und seine Leserschaft. Davon ist bei Kennedy nur in der Form von Leserzuschriften und in "Rolfs" Absichtserklärung (im Heft zum 25-jährigen Jubiläum) die Rede, "möglichst jedem etwas zu bieten: dem geistig Orientierten wie dem Anspruchslosen, dem Künstler wie dem Arbeiter, dem Industriekapitän wie dem Bauer" (182f.). Eine umfassende Studie der Kreis-Leserschaft müsste sich der Methode der "oral history" bedienen - Steinles Ausstellungskatalog hat hier einen wichtigen Anfang gemacht. Bald dürfte es aber für ein solches Unternehmen zu spät sein! Das Namensregister ist vorzüglich; es fehlt allerdings ein Sachregister. Trotz dieser Kritik ist Kennedys Monographie als verdienstvoll anzusehen. Seinen abschließenden Worten ist beizupflichten: "Wir alle schulden 'Rolf' und seinen Mitarbeitern Dank dafür, dass sie über viele Jahre hin diese bemerkenswerte Zeitschrift in drei Sprachen möglich gemacht haben" (337).

[1] 1988 veröffentlichte Thomas Löw unsere Resultate. Löw, Thomas: Der "Kreis" und sein idealer Schwuler, in: Trüeb, Kuno / Miescher, Stephan (Hg.): Männergeschichten: Schwule in Basel seit 1930. Ausstellungskatalog, Basel: Verlag Basler Zeitung 1988, S. 157-165.
[2] Hohmann, Joachim S. (Hg.): Der Kreis: Erzählungen und Fotos, Frankfurt a.M. / Berlin: Foerster 1980.
[3] Steinle, Karl-Heinz: Der Kreis: Mitglieder, Künstler, Autoren (Hefte des Schwulen Museums 2), Berlin: Rosa Winkel 1999. Vgl. Steinle, Karl-Heinz: Der Kreis - Entwicklungshilfe aus der Schweiz, in: Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung. Eine Ausstellung des Schwulen Museums und der Akademie der Künste, Berlin: Verlag rosa Winkel 1999, S. 238-242.
[4] Kokula, Ilse / Böhmer, Ulrike: Die Welt gehört uns doch! Zusammenschluss lesbischer Frauen in der Schweiz der 30er Jahre, Zürich: eFeF-Verlag 1991.
[5] Siehe auch: Salathé, André: Karl Meier "Rolf" (1897-1974): Schauspieler, Regisseur, Herausgeber des "Kreis", in: Thurgauer Köpfe, Bd. 1 (Thurgauer Beiträge zur Geschichte, Bd. 132), Frauenfeld: Huber 1995, S. 203-214.




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