Christian Klein:
Schreiben im Schatten. Homoerotische Literatur im Nationalsozialismus,

Hamburg: MännerschwarmSkript Verlag 2000, 192 S., € 16

Rezension von Stefan Micheler, Hamburg

Erschienen in Invertito 4 (2002)

Bereits in der Einleitung seiner Untersuchung Schreiben im Schatten. Homoerotische Literatur im Nationalsozialismus stellt der Berliner Literaturwissenschaftler Christian Klein fest, dass es keine systematische Indizierung homoerotischer Literatur - gemeint ist nur mannmännliche - während der NS-Zeit gegeben habe und offensichtlich auch keine systematischen Anstrengungen hierzu. Klein stellt - hierin liegt das Verdienst der Untersuchung - zahlreiche von ihm als homoerotisch eingestufte Titel vor, die während der NS-Zeit erstmals oder in Zweitveröffentlichungen erscheinen konnten. Darunter befinden sich Werke von Paul Alverdes, Hanns Heinz Ewers, Hans Gstettner, Paul Gurk, Manfred Hausmann, Bernhard Jülg, Wolfgang Koeppen, Peter Martin Lampel, Felix Lützkendorf, Victor Meyer-Eckhardt, Josef Mühlberger, Ernst Penzoldt, Herbert Pfretzschner, Ernst von Salomon, Frank Thiess und Egon Viettas (Karl Egon Fritz). Die "Klassiker homoerotischer Literatur" August von Platen, Johann Joachim Winckelmann, Christopher Marlowe, Oscar Wilde und Walt Whitman wurden ebenfalls während der NS-Zeit im Deutschen Reich veröffentlicht; unklar bleibt allerdings, welche Werke dieser Autoren erscheinen konnten und ob sich darunter überhaupt homoerotische Texte befanden. Als Beispiel eines Romans, der eingestampft wurde, bespricht er Friedo Lampes Am Ende der Nacht. Klein konzentriert sich auf Prosa und Lyrik, Dramen und Hörspiele betrachtet er nicht.

Ein grundlegendes Problem der Untersuchung ist, dass völlig unklar bleibt, wie Klein seine Textauswahl getroffen hat. Er erläutert sein Vorgehen nicht und reflektiert es auch nicht methodisch. Einige der behandelten Autoren haben im Eigenen oder im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen während des Kaiserreiches oder der Weimarer Republik publiziert (vgl. Marita Keilson-Lauritz: Die Geschichte der eigenen Geschichte. Literatur und Literaturkritik in den Anfängen der Schwulenbewegung, Berlin: Verlag rosa Winkel 1997). Ob Klein die Freundschafts-Zeitschriften der Weimarer Republik, wie Die Freundschaft oder Das Freundschaftsblatt, ausgewertet hat, ist nicht ersichtlich. Dass es darüber hinaus noch zahlreiche Veröffentlichungen, Nicht-Veröffentlichungen oder Indizierungen gegeben haben könnte, die sich aus anderen Quellen wie etwa Verlagskorrespondenzen erschließen ließen, wird von Klein nicht bedacht. Eine Berücksichtigung solcher Quellen ist von einer Pionieruntersuchung nicht zu erwarten, aber eine Thematisierung dieses Problems wäre erforderlich gewesen. Zu fragen ist, ob Klein nicht bei einer anderen Auswahl der Autoren zu anderen Ergebnissen gekommen wäre. Insgesamt wird die Dichte und Größe des diskursiven Feldes homoerotische Literatur während der NS-Zeit nicht deutlich. Klein kann also nur eine Geschichte homoerotischer Literatur während der NS-Zeit erzählen, ob es die Geschichte mannmännlicher homoerotischer Literatur während der NS-Zeit ist, werden erst weitere Forschungen zeigen.

Kleins Untersuchung konzentriert sich auf Texte, die während der NS-Zeit erstmals erschienen. Er ordnet sie vier Themenfeldern zu: Kindheit, Kameradschaft, Künstler und Antike-Rekurs. Klein subsumiert dabei zahlreiche, völlig verschiedene Texte, die unterschiedlichen Diskursfeldern angehören, unter dem Stichwort Homoerotik. Dies ist sicherlich legitim, wenn er deutlich macht, dass die Texte, abgesehen davon, dass er sie als "homoerotisch" ansieht, recht wenig gemein haben - sie reichen von rührigen Kinder- und Jugendfreundschaften über frauenfeindliche Werke bis hin zu militaristischen, heldenverehrenden Soldatengeschichten. (Nicht umsonst wurde Paul Alverdes' 1929 erstmals erschienene Pfeiferstube 1942 als Feldpostausgabe herausgebracht.) Klein problematisiert dies nicht und hinterfragt das Etikett homoerotisch nicht. Er unterlässt es auch in den Einzelanalysen, die Texte ideologiekritisch zu verorten. Andererseits ordnet er manche Werke nicht in den homoerotischen Kanon ein: So führt er den Roman Tresoreinbruch von Paul Gurk aus dem Jahr 1935 nur an, um zu zeigen, dass Gurk ein seinen ZeitgenossInnen durchaus bekannter Schriftsteller war, lässt aber die homosexuelle Thematik unerwähnt. Klein verweist nicht darauf, dass Gurk im Roman das Schicksal eines nach § 175 verurteilten Schusters darstellt, bei dem die ehemaligen KundInnen nach der Haftentlassung nicht mehr arbeiten lassen, der von der Nachbarschaft diskriminiert und schließlich von einem jungen Mann - vermutlich einem Strichjungen - ohne Gegenwehr erschlagen wird. Es wäre sicherlich spannend zu fragen, ob dieser Erzählstrang zum Verbot des Buches beigetragen hat, denn Gurk zeigt den Schuster durchaus als Opfer der Gesellschaft.

Die von Klein angegebenen Gründe für die nicht systematische Indizierung homoerotischer Literatur fallen spärlich aus: "In den allermeisten Fällen wurde die Homoerotik von den Zensoren einfach nicht wahrgenommen." - In der Tat, die Zensoren werden manche Texte als systemkonforme Männerfreundschaftsgeschichten gelesen haben. "Außerdem mag der eine oder andere Text durch die Zensur gelassen worden sein, damit das Regime auf diese Weise seine vermeintliche Liberalität darstellen konnte." Es ist in meinen Augen sehr unwahrscheinlich, dass hierfür gerade homoerotische Texte herangezogen worden wären, und Liberalität wollte das NS-Regime gewiss nicht demonstrieren. "Und schließlich funktionierte oft auch die Zensur nicht so lückenlos, wie es gern propagiert wurde [...]; Zwistigkeiten im Zensurbetrieb taten gewiss ein Übriges" (alle 11f.), womit Klein sicherlich Recht hat.

Klein gelingt es nicht, den Komplex Zensur von Literatur während der NS-Zeit klar darzustellen. So fehlt eine Einordnung der Zensur oder Nicht-Zensur homoerotischer Texte in den Gesamtzusammenhang der Zensur. Unklar bleibt leider auch, was es bedeutete, wenn ein Buch auf einer Liste unerwünschter Literatur genannt wurde: Verkaufsverbot, Verbannung aus öffentlichen Bibliotheken, Einstampfen? Bekam der Autor Probleme mit anderen Veröffentlichungen? Ein weiteres grundlegendes Problem ist, dass die Akteure oft nicht klar benannt werden und nicht aus dem Kontext erschlossen werden können. Passiv-Formulierungen und "man" lassen im Dunkeln, wer agiert, wer Zensurvorschläge macht, wer deckt, wer welche Motive hat. Zum Beispiel: "Auch Frank Thiess [...] ist vor 1933 als Autor homoerotischer Texte bekannt." (52). Wem: den LeserInnen des Eigenen und anderer Homosexuellen-Zeitschriften, der Literaturkritik, den Verlagen, dem breiten Publikum, den späteren Machthabern?

Die verwendete Literatur zur Verfolgung gleichgeschlechtlich begehrender Menschen entspricht längst nicht mehr dem Forschungsstand, darüber hinaus fehlt auch die Einordnung in den gesamten historischen Kontext der NS-Herrschaft. Besonders verwirrend ist, dass Klein einerseits den Begriff "schwule Literatur" zu Recht verwirft (16f.), aber völlig ungeachtet dessen ständig von "Schwulen" spricht. Homoerotische Literatur von Frauen wird von ihm nicht erwähnt. Zahlreiche Fehler stecken auch im Detail: So ist lila und nicht rosa die Farbe gleichgeschlechtlich begehrender Menschen in der Weimarer Republik (155). Die von Klein zitierte Passage aus einem unveröffentlichten Text von Klaus Mann greift auch nicht Nazis als Homosexuelle an, wie Klein meint, sondern sagt nur, dass es auch viele homosexuelle Nazis gibt (68). Christian Klein hat zweifelsohne interessante Quellen erschlossen, aber insgesamt hätten ein Blick über den schwulen Tellerrand und methodische Sicherheit dem Buch gut getan. Klein reißt ein interessantes Forschungsfeld eher an, als dass er es bearbeitet.




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