Wilhelm von Gloeden / Guglielmo Plüschow / Vincenzo Galdi:
Et in Arcadia Ego. Photographien der Jahrhundertwende.

Hg. von Tobias G. Natter und Peter Weiermair, Zürich: Edition Oehrli 2000, 111 S., (deutsch - englisch), DM 98.

Rezension von Jürgen Müller, Köln

Erschienen in Invertito 3 (2001)

Der Bildband umfasst 82 Fotografien vom Ende des 19. und vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein unbekannter Sammler hat Fotos von Wilhelm von Gloeden (25), Guglielmo Plüschow (48) und Vincenzo Galdi (9) zu einem persönlichen Album zusammengestellt. Damit ist neben der bildlichen Qualität der Fotografien auch der quellenhistorische Wert des Bandes angesprochen, denn das Album stellt eine Projektionsfläche "homophiler" Sehnsüchte dar. Hier wird nicht nur einfach einhundert Jahre alte homoerotische Fotokunst gezeigt, sondern es wird eine zeitgenössische Sammlung präsentiert, die individuellen Geschmack widerspiegelt.

Das Album, das aus dem Nachlass des französischen Malers Paul Guerrier stammt und nach ihm "Album Guerrier" benannt ist, wurde 1999 bei einem Antiquar in der Normandie entdeckt. An diesem Fund wird deutlich, wie Nachlässe mit schwuler oder homoerotischer Thematik noch heute sind: Gleichgültigkeit gegenüber dem Album, es galt zunächst als kuriose Draufgabe zum Nachlass des Künstlers. Als der mögliche Wert der Fotografien erkannt wurde, drohte das Auseinanderreißen des Albums und die Versteigerung der einzelnen Fotografien, schließlich sollten Bequemlichkeit und peinliche Berührtheit über die Darstellungen zu einem Pauschalverkauf führen.

Der Band ist in drei Abschnitte eingeteilt. Dem zentralen Bildteil ist ein Artikel von Tobias G. Natter mit Informationen zur möglichen Entstehung des Albums sowie Überlegungen zur Anordnung der Bilder vorangestellt. Aufschlussreich sind die Angaben zur Datierung, zum Vertrieb und zum Erwerb der Fotografien. Natter weist dabei besonders auf die Bedeutung der Fotohändler hin und gibt einen interessanten Einblick in die Strukturen des Kunsthandels und der Absatzmärkte.

Die Bilder sind weder chronologisch noch topographisch noch nach den Künstlern geordnet. Natter vermutet deshalb eine formal rezeptionsästhetische Absicht des Sammlers bei ihrer Zusammenstellung. Die Fotografien zeigen im ersten Teil Landschaften und Gärten; die abgebildeten Jünglinge haben hier lediglich dekorativen Charakter. Im zweiten Teil stehen die abgelichteten Kinder, Jünglinge und jungen Männer in einem gleichwertigen Verhältnis zur Landschaft. Der Betrachter rückt mit seinem Blick gleichsam näher an die Personen heran. Den umfangreichsten dritten Teil bilden Portraitaufnahmen teilweise nackter Modelle (darunter auch drei Frauenakte). Sie greifen ikonographisch auf die griechische Mythologie und auf christliche Motive zurück.

Peter Weiermair stellt abschließend unter der Überschrift "Et in arcadia ego" biographische Notizen zu den Fotografen zusammen. Dieses Goethezitat, das auch dem gesamten Bildband den Titel gibt, spielt auf die "Erfahrungen und Sehnsüchte" homosexueller Reisender an, die sich um die Jahrhundertwende auf der grand tour in Italien befanden, wo es keine strafrechtlichen Bestimmungen gab, die homosexuelle Handlungen kriminalisierten. Die kurz gehaltenen Anmerkungen bieten trotz der angehängten Zeittafeln zu wenig Informationen, was allerdings nicht so schwer wiegt, da zumindest zu Gloeden und Plüschow umfangreiche Literatur veröffentlicht ist. Ein vergleichender Blick darauf, wie die Künstler die unterschiedlichen Motive wiedergeben, hätte einen zusätzlichen Reiz der Edition ausmachen können.

Wegen der Reproduktion der Fotografien und der Gestaltung des Bildbandes ist das "Album Guerrier" jedem bibliophilen Sammler zu empfehlen.




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