Andreas Niederhäuser
"si underkusten tûsentstunt / ougen wangen unde munt"
Freundesliebe im höfischen Epos

Übersicht des Beitrags

Mann-männliche Sexualität ist in der deutschen Literatur des Mittelalters ein marginales Thema. Die wenigen Belegstellen bilden dabei keinen eigenständigen ästhetisch-literarischen Diskurs, sondern wiederholen die im normativen Diskurs entwickelten Argumente. Das Verhalten der männlichen Protagonisten der höfischen Epen gegenüber ihren Freunden, starke Affekte und für moderne Leser und Leserinnen eher ungewohnte Formen körperlicher Intimität zwischen erwachsenen Männern scheinen allerdings auf eine latent erotische Struktur dieser zwischenmännlichen Beziehungen zu verweisen. Der Autor weist jedoch mit Hilfe poetologischer Erklärungsmodelle nach, dass diese Männerfreundschaften nur dann unterschwellig "homoerotisch" scheinen, wenn sie unter dem Blickwinkel neuzeitlicher Beziehungs- und Verhaltensnormen interpretiert werden. Freundschaft ist in der vormodernen Welt der höfischen Epen jedoch nicht Ausdruck einer inneren Zuneigung, sondern die gegenseitige Anerkennung der höfischen Helden als gleichwertige adlige Körper. Gesten und Gebärden affektiver Zuneigung und körperlicher Intimität haben hier noch keinen Verweischarakter. Sie sind nicht Ausdruck einer inneren Verbundenheit mit dem Gegenüber. Gefühle sind in der vorbürgerlichen Welt der höfischen Epen noch in den Gesten und Gebärden des Körpers selbst (und nur dort) beheimatet. Diese konstituieren als konventionalisierte Verhaltensmuster soziale Bindungen und repräsentieren die Anerkennung des anderen als gleichwertigen Körper vor der höfischen Öffentlichkeit.




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