Daniel Wildmann:
Begehrte Körper
Konstruktion und Inszenierung des "arischen" Männerkörpers im "Dritten Reich"

Würzburg: Königshausen & Neumann 1998, 160 S., 29,80 DM

Rezension von Mihály Riszovannij, Berlin

Erschienen in Invertito 2 (2000)

Für die Erforschung der Geschichte der (Homo-)Sexualität(en) sind Beiträge zur allgemeinen Körpergeschichte dann von besonderer Relevanz, wenn sie soziokulturelle Phänomene behandeln, die in entsprechenden Kontexten (homo)sexualisiert werden können. Der Titel des vorliegenden Buches weckt mit dem Begriff "Begehren" die Neugier, Bezüge zwischen Sexualität, Körperbildern und Machtverhältnissen aufzudecken.

Der Schweizer Historiker Daniel Wildmann setzt sich das Ziel, am Beispiel des Olympia-Films von Leni Riefenstahl die Konstruktion des "arischen" Männerkörpers nachzuvollziehen und Strategien des "Begehrens" zu identifizieren. Seine Arbeit liegt im Schnittpunkt von Antisemitismusforschung, Film-, Sport- und Körpergeschichte. Ihrer Stellung in der NS-Ideologie entsprechend stehen die Kategorien "Rasse" und "arisch" vor "Geschlecht" und "Männlichkeit" im Mittelpunkt seiner Untersuchung.

In drei einführenden Kapiteln werden Grundbegriffe geklärt, das Verhältnis des Nationalsozialismus zu Sport und Antike erläutert und ein Überblick über die Karriere Riefenstahls sowie über Entstehung und Inhalt ihres Olympia-Films geliefert.

Die drei anschließenden systematischen Kapitel enthalten die Analyse ausgewählter Szenen. Unter dem Titel "Noble Körper" (Kapitel 4) werden zuerst zwei "Geburten" aus dem Prolog des Films präsentiert: die Metamorphose der Statue des Diskuswerfers in die Gestalt des Zehnkämpfers Erwin Huber und die "Geburt" des Fackelträgers aus der Schar griechischer Priesterinnen. Der Weg der Fackel verbindet Vergangenheit und Gegenwart, der Empfang der Flamme in Berlin Nationalsozialismus und olympische Idee. Antike und Nazideutschland werden in legitimatorischem Sinn gleichgesetzt. Neben dem Rückbezug auf die Antike wird als weitere Strategie zur Nobilitierung des Körpers die Reinheit symbolisierende Nacktheit eingesetzt. Das Verschwinden des Läufers aus dem Bild am Ziel des Feuers im Olympiastadion interpretiert Wildmann als "Selbstaufopfern" und "Aufgehen in der Volksgemeinschaft". Insgesamt sieht er den Prolog durch seine nationalsozialistische Umdeutung olympischer Metaphern und Symbole als "filmische Abbildung der nationalsozialistischen Kunst- und Sportideologie" (S. 60). Wildmann erwähnt zwar auch die Wurzeln des Körperkults in der Weimarer Republik, jedoch nur am Beispiel der Lebensreform- und FKK-Bewegung, ohne den Einbezug der homosexuellen Subkultur, etwa des Kreises um Adolf Brand und seine Zeitschrift "Der Eigene". In Bezug auf das Begehren stellt Wildmann fest: "Das Zusammenspiel von Skulptur und Film in der Darstellung nackter Körper konstruiert einen phantasmatischen Raum, der das individuelle Begehren koordiniert, auf ein Objekt hin positioniert und es zu einem 'mimetischen Begehren' werden lässt: nicht nur der Körper wird begehrt; auch der eigene Körper soll so werden wie der begehrte Körper im Film" (S. 61). Wildmann sieht also Identifikation als Funktion der nackten Körper, sexuelle Aspekte erwähnt er nicht.

In Kapitel 5 ("Kämpfende Körper") wird am Beispiel des Marathonlaufs der "Kampf gegen sich selbst und gegeneinander" behandelt: Durch den Körper wird auch der Charakter sichtbar, individuelle Körper verschmelzen zu einer "imaginären Einheit". Das Konzept des "kollektiven Körpers" erweist sich hier als wesentlicher Bestandteil der NS-Ideologie. Die sportliche Leistung deutet Wildmann als "Dienst", den Marathon als "Lauf in das Dritte Reich und in die Volksgemeinschaft". Als zentrale Kategorien bei der Konstruktion des "Arischen" werden Muskel und Wille angesehen. Da die den Muskeln zugesprochenen Eigenschaften wie Naturgegebenheit, Abwehr und Herrschaft sowie die Assoziationen "gesund" und "natürlich" im Nationalsozialismus an das Konzept "Rasse" gebunden sind, entsteht durch diese Zeichen der "arische" Männerkörper. Die Körperhaltung, somit Selbstbeherrschung und Unterordnung sind ebenfalls Bestandteile der Kampfinszenierung. "Im männlichen und 'arischen' Athletenkörper tritt die nationalsozialistische Fixierung auf Kampf in einem[...] Herrschaftsdiskurs auf" (S. 108). Ferner werden "die Formen für dieses Handeln selbst auch zum Zeichen des Männlichen. [...] Der Muskel als Ort der körperlichen Kraft wird als männliches Grundprinzip zur männlichen Metapher par ex[c]ellence" (S. 83). Der Autor gibt im Folgenden einen Überblick über die Vorgeschichte der Rassentheorie und Degenerationsdebatte seit der Jahrhundertwende. Auch hier fehlt die Erwähnung der Verbindung von Körperkult und Rassegedanken im Kreis um Adolf Brand (z.B. in der Bildbeilage "Rasse und Schönheit", 1926, oder in Brands Fotoserie "Deutsche Rasse", 1925). Hier zeigt sich, dass die Ergebnisse der Geschichte der Homosexualität(en) in der allgemeinen (Geschlechter-)Geschichte immer noch nicht wahrgenommen werden, nicht einmal, wenn es um solche (sub-)kulturübergreifenden Phänomene geht.

Da es Riefenstahl um die Inszenierung des "Arischen" geht, schließt sie jüdische Körper aus dem Bild aus und verschweigt die Leistungen jüdischer SportlerInnen: "[Riefenstahl] realisiert im Verschwindenlassen den Kampf gegen diese Körper" (S. 102), kann aber nicht verhindern, wie Wildmann betont, dass jüdische Sportler gerade durch ihre Abwesenheit doch anwesend sind.

Im dritten der systematischen Kapitel ("Begehrte Körper", Kapitel 6) werden anhand des Zieleinlaufs und der Siegerehrung weitere "Formen des Opfers und der Lohn" dargestellt. Die erschöpften Körper vergleicht Wildmann mit dem Leib Christi; damit werden "die neo-olympischen und nationalsozialistischen Körperverweise mit dem christlichen" verwoben (S. 111). Der Lohn für den Kampf soll die "Transzendenz", die "Aufnahme in die Volksgemeinschaft" sein. Das Begehren ist auch hier nicht sexuell: "Am athletischen Körper konkretisiert sich das Begehren auf den versprochenen Lohn" (S. 116). Der Körper dient und herrscht zugleich, und der "Zuspruch des Herrschens könnte die damit verknüpfte Entmachtung [...] begehrbar machen" (S. 123). Dem Publikum wird versprochen, "an der Macht teilhaben zu können, wenn es die Körper und ihre Bewegung selbst begehrt und einen mimetischen Akt vollzieht" (S. 126). Das Begehren des Körpers wird auf den Staat gelenkt.

Das "Begehren" wird im Laufe der Analyse kaum konkretisiert, wenn doch, dann als nicht-sexuelles Verlangen, wie die obigen Beispiele zeigen. Gerade deshalb ist es verwunderlich, dass am Ende des Buches plötzlich die Sexualität auftaucht: Riefenstahl "sexualisiert die Anrufung [sich um einen 'arischen' Körper zu bemühen, M.R.]; Macht und Tod werden erotisch" (S. 137). Die systematischen Kapitel enden mit diesem Satz (es folgt nur noch ein Schlusswort), ohne zu klären, warum die bisher angeführten Formen des "Wünschens" erotisch sein sollten und wie sich das Sexuelle im Rahmen des Begehrens manifestiert. Eine Zusammenfassung der unterschiedlichen Formen des Verlangens nach den Männerkörpern in einem undifferenzierten Begriff "Begehren" führt m.E. zu keiner adäquaten Erklärung der Phänomene (trotz einer verlockenden psychoanalytischen Theorie im Hintergrund). Ist etwa der Wunsch eines Jungen, "so zu sein, wie der Onkel auf dem Bild" (= Identifikation), und der eines gleichgeschlechtlich liebenden Mannes, "den Kerl da ins Bett zu kriegen" (= sexuelles Verlangen), dasselbe "Begehren"? Wohl kaum. Ob und wieweit "das Publikum" (das Wildmann als einheitlich auffasst) ein Begehren sexueller Art hatte, wie am Ende des Buches vermutet wird, könnte nur eine rezipientenbezogene Untersuchung ergeben, die aus heutiger Perspektive nicht mehr möglich ist, und - wie der Autor es am Anfang klarstellt - auch nicht Ziel des Buches ist. Da die "ästhetische und erotische Faszination des Nationalsozialismus" in literarischen und alltagshistorischen Beispielen oft betont wird, könnte man von einem Buch mit dem Wort "Begehren" im Titel erwarten, sexuelle Aspekte differenzierter zu behandeln.

Trotz dieser offenen Frage ist Wildmanns Buch ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Kultur der NS-Zeit. In seiner Interpretation entschlüsselt er Strategien filmischer Propagierung der NS-Ideologie und hilft heutigen RezipientInnen, sich dem Mythos einer von der Politik unabhängigen Kunst entgegenzustellen. Dabei stützt er sich auf ein breites Spektrum an Fachliteratur zur NS-Kunstpolitik, Sportgeschichte und zum Antisemitismus und integriert die Ergebnisse in seine Arbeit. Ein Nachteil des Buches ist, dass es mit Ausnahme des Titelblattes und zweier Graphiken keine Illustrationen enthält, obwohl in erster Linie visuelle Objekte interpretiert werden.

Eine letzte Reflexion vom Standpunkt der kulturwissenschaftlichen Homostudien: Das Buch zeigt, wie verschiedene Zeichen und Inhalte in bestimmten Kontexten, und nur in diesen, in Mittel faschistischer Propaganda umgewandelt werden können. Wenn wir einen Blick auf die schwule Alltagskultur westlicher Gesellschaften werfen, wird sichtbar, dass Körper- und Muskelkult ("gay clones") sowie Macht- und Unterwerfungsrituale (S/M-, Military- und Skinhead-Szene), ein wesentlicher Bestandteil dieser Kultur sind. Diese Phänomene und ihre Zeichen müssen beschrieben und reflektiert werden, zumal in manchen Fällen bereits eine Faschisierung des Sexuellen zu beobachten ist (z.B. "Mein Kampf" als erotische Stimulierungslektüre (!), Hitlergruß als Teil der Inszenierung). Machtspiele und Muskeln sollte man jedoch nicht kontextunabhängig von vornherein als faschistisch abstempeln. Daniel Wildmanns Interpretationsstrategien können eine wichtige Hilfe sein, auch bei der Analyse der Ideologisierung von Zeichensystemen der Gegenwart.




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