Leslie Feinberg:
Transgender Warriors - Making History from Joan of Arc to Dennis Rodman

Boston: Beacon Press 1996, 218 S., $ 27,50, 69,80 DM

Rezension von Birgit Bauer, Hamburg

Erschienen in Invertito 2 (2000)

Nicht nur in der heteronormativen, sondern auch in der schwul-lesbischen Geschichtsschreibung sind TransMenschen bisher weitgehend unsichtbar. (Da es bisher im Deutschen keine zufriedenstellenden Sprachkonventionen gibt, entlehne ich von der im Englischen verwendete Kategorie transgender, die Transsexuelle, Transgender-Menschen und Intersexuelle umfasst, die Vorsilbe trans.). Während die heteronormative Geschichtsschreibung TransPhänomene in der Regel völlig leugnet oder verdrängt, tendiert die schwul-lesbische Geschichtsschreibung dazu, den TransAnteil der Geschichte zu vereinnahmen, indem Phänomene, die nicht in das Modell der Zweigeschlechtlichkeit und der entsprechend zugeordneten Geschlechterrollen passen, undifferenziert schwul-lesbisch interpretiert werden.

Leslie Feinberg macht diese Arten von Hetero- und Homonormativität in ihrem/seinem Buch Transgender Warriors deutlich, ohne den Fehler zu machen, alle beschriebenen Phänomene in ein heutiges, westliches Konzept von transgender zu pressen. Ihre/Seine Arbeit regt dazu an, die schwul-lesbische Forschung zu reflektieren sowie die Überschneidungen und Abgrenzungen zwischen homosexuellen und TransIdentitäten differenzierter zu betrachten.

Transgender Warriors, das bisher nicht in deutscher Übersetzung vorliegt, ist eine eigenwillige, aber ansprechende Mischung aus Autobiographischem, Politischem und Feinbergs Forschung zur Geschichte von TransPersonen. Diese Mischung ist nicht zufällig, sondern beabsichtigt. Sie macht eine Stärke des Buches aus, da Feinberg bewusst mit der Tatsache umgeht, dass Politik und die eigene Biographie nicht von der Tätigkeit als Forschende zu trennen sind. Bereits im Vorwort macht Feinberg deutlich, worum es ihr/ihm beim Schreiben der TransGeschichte geht: einen neuen Blick auf Sex und Gender in der Geschichte und auf die Verschränkung von Sexualität mit Klasse, Nationalität und race zu werfen. Dabei liegt der Fokus auf West-Europa, allerdings nicht aus unhinterfragtem Eurozentrismus heraus, sondern auf der Feststellung basierend, dass jahrhundertelang vorherrschende Machtstrukturen sowohl für die heutige Unterdrückung von TransPersonen und anderen (Frauen, Lesben, Schwulen etc.) in der westlichen Welt verantwortlich sind als auch kolonisierten Völkern weltweit aufgedrückt wurden. Feinberg führt auch TransPhänomene aus anderen Kulturen an. Damit will sie/er nicht ausdrücken, dass dort TransIdentitäten im heutigen, westlichen Verständnis zu finden sind, sondern sie/er fasst diese Beispiele als Herausforderung an die herrschenden westlichen Vorstellungen der Zweigeschlechtlichkeit auf. Feinberg äußert explizit die politischen Absichten, die sie/er mit ihren/seinen Forschungen verfolgt: Es geht ihr/ihm um die Unterstützung von Befreiungsbewegungen. Die Beschäftigung mit der TransGeschichte erfolgt aus dem Interesse heraus, die Ursachen für die heutige Unterdrückung von TransMenschen zu analysieren, sowie TransMenschen in der Geschichte sichtbar zu machen. Wie ein Zitat Kate Bornsteins auf dem Titelblatt treffend bemerkt: "Männer und Frauen hatten ihre Geschichten. Dies ist das Geschichtsbuch für den Rest von uns." Damit befinden sich Feinbergs Ausführungen aber immer im Spannungsfeld zwischen ihrer/ seiner einerseits sehr vorsichtigen Art, die diskutierten Phänomene (nicht) innerhalb unserer Begrifflichkeiten einzuordnen, und andererseits der Tendenz oder Gefahr, doch ahistorisch TransIdentitäten (in unserem heutigen Verständnis) anzunehmen.

Eine Problematik zieht sich durch das gesamte Buch und ebenso durch diese Rezension: das der Sprache. Feinberg stellt die Problematik der auf Zweigeschlechtlichkeit normierten Sprache an den Beginn ihrer/seiner Ausführungen: " 'Bist du ein Junge oder ein Mädchen?' Ich habe diese Frage mein Leben lang gehört. Die Antwort ist nicht so einfach, denn es gibt in der englischen Sprache keine Pronomina, die so komplex sind wie ich es bin, und ich möchte mich nicht vereinfachen, um ordentlich in das eine oder andere zu passen." Dies gilt auch für die deutsche Sprache. Feinberg benutzt den Begriff transgender als Dachbegriff und bezieht sich damit auf all diejenigen Menschen, die die Grenzen und Beschränkungen bezüglich Sex und Gender in Frage stellen oder überschreiten.

Feinberg schreibt populärwissenschaftlich; sie/er stützt die Geschichte, die sie/er erzählt, auf ihre/seine langjährige Recherche zu dem Thema, präsentiert hier aber nur eine Zusammenfassung bisheriger Ergebnisse. Sie/er analysiert, wie es dazu kam, dass TransAusdrucksformen einst in vielen Kulturen geachtet waren und einen wichtigen Bestandteil des alltäglichen und spirituellen Zusammenlebens in der Gemeinschaft ausmachten, später jedoch geächtet, verboten und verfolgt wurden und bis heute werden.

Dabei zeichnet sie/er anhand eines autobiographischen Rahmens nach, wie ihre/seine Forschung motiviert wurde und sich entwickelte: Von Arbeitslosigkeit betroffen, beschließt die junge Butch Feinberg, männliche Hormone zu nehmen, um als Mann "durchzugehen". Als solcher findet sie/er wieder Arbeit und auch Anschluss an eine sozialistische Gruppierung, vor deren Mitgliedern sie/er sich schließlich als transgendered outet. In diesem Zusammenhang beginnt sie/er, sich mithilfe eines Genossen zu bilden; dadurch stellt sie/er sich schließlich eigene Fragen bezüglich ihrer/ seiner Situation als transgendered und stößt auf eine Figur in der europäischen Geschichte, die ihr/ihm einen ersten Ansatz zur Erforschung der TransGeschichte gibt: Jeanne d'Arc. Feinberg stellt dar, dass eines der Hauptargumente für die Verurteilung und Exekution Jeanne d'Arcs ihre hartnäckige Weigerung war, Frauenkleider zu tragen. Die Frage, die sich für Feinberg aus der Betrachtung der Geschichte Jeanne d'Arcs ergibt, ist: Warum verabscheuten die Feudalherren und die Kirche ihre TransAnteile, während die Bauern diese als heilig betrachteten? Feinberg zeichnet folgendes Bild der TransGeschichte in Anlehnung an einen materialistischen Erklärungsansatz: Die TransUnterdrückung nahm ihren Anfang im Untergang der Urgesellschaft. In den sich im Anschluss entwickelnden, auf Unterdrückung basierenden Gesellschaftsformen führten letztendlich patriarchale Interessen dazu, dass eine strikte Trennung in Männer und Frauen erst nötig wurde; schließlich müssten in einem solchen System Herrschende und Beherrschte klar voneinander unterscheidbar sein. So seien die TransAusdrucksformen, die wir in der europäischen Geschichte immer wieder finden, bereits seit dem antiken Griechenland nurmehr ein Überbleibsel aus den Urgesellschaften. Das erste schriftlich fixierte Verbot von Cross-Dressing findet Feinberg im hebräischen Gesetzbuch. Durch die Jahrhunderte verschärften sich Verdammnis und Verfolgung von TransMenschen durch Feudalherren und Kirche. Es gab aber auch gegenläufige Fälle, in denen (besonders Frau-zu-Mann-) TransMenschen Anerkennung zugesprochen wurde, bis hin zur Heiligsprechung durch die Kirche.

Feinberg streicht ein weiteres Ergebnis ihrer/seiner Forschung heraus: Während dieser jahrhundertelang versuchten Verdrängung und Verfolgung von TransAusdrucksweisen und -Lebensformen seitens der Obrigkeit fanden TransElemente und -Symboliken wiederholt als Widerstandsform der Unterdrückten Verwendung. Ein Beispiel sind "Rebecca and her daughters": Am 13. Mai 1839 zerstörten bewaffnete "männliche" Bauern, "als Frauen gekleidet", britische Zollstützpunkte in Wales; dieses war der erste Angriff einer Welle solcher Cross-Dresser-Aktionen, die vier Jahre andauerte. Feinberg argumentiert, dass es sich hierbei nicht nur um Cross-Dressing handelte, sondern auch um Cross-Gender-Verhalten, da diese "Männer" sich Frauennamen gaben, sich auf "Frauenstrukturen" bezogen (z.B. indem sie sich gegenseitig als Schwestern bezeichneten), Perücken trugen, die bei solchen Aktionen eher hinderlich als hilfreich waren. Damit wendet Feinberg sich gegen eine Geschichtsschreibung, die TransPhänomenen keinen eigenen Wert zuerkennen will; die Cross-Dressing einzig pragmatisch erklärt: Frau-zu-Mann-Cross-Dressing sei praktisch für Rebellinnen, weil männliche Kleidung bequemer ist. Doch wie lässt es sich dann erklären, dass kämpfende Männer unbequemere Kleidung trugen, die noch nicht mal den Sinn der Maskierung erfüllen konnte (durch Röcke kann niemand weniger gut identifiziert werden, als wenn er Hosen trüge), fragt Feinberg zurecht. Feinberg setzt dagegen, dass Cross-Dressing ein Muster in Rebellionen darstellen kann, das für die Unterdrückten mit langen Traditionen verbunden sei.

Ein weiteres Phänomen, das von der bisherigen Geschichtsforschung nur unzulänglich erklärt werden konnte, weil die TransPerspektive fehlte, ist das Passing ("als das andere Geschlecht durchgehen"), das vor allem in der Form der Frau-zu-Mann-TransMenschen während des 17. und 18. Jahrhunderts weit verbreitet war. Die Erklärung, dass diese Menschen allein aufgrund der Frauenunterdrückung als Männer gelebt haben, oder dass es sich um "Lesben" handelt, die nur so ihre Sexualität leben konnten, empfindet Feinberg als unbefriedigend. Zum einen wirft sie/er die Frage auf, wer überhaupt als Mann durchgehen konnte, in Zeiten, in denen es noch nicht die Möglichkeit der Hormonbehandlungen und Operationen gab. Die Möglichkeit des Passens habe nur biologischen Frauen offen gestanden, die auch transgendered in dem Sinne gewesen seien, dass ihr Verhalten "maskulin" genug war, um nicht "aufzufliegen". Zum anderen habe es ebenso Mann-zu-Frau-TransMenschen gegeben - auch in privilegierten Klassen, für die eine Erklärung, die allein auf ökonomischen Vorteilen basiert, nicht ausreichen könne. Feinberg betont in diesem Zusammenhang, dass das TransSein nicht einfach ein Produkt von (Frauen-)Unterdrückung sei, sondern das Passing ein Produkt von (Trans-)Unterdrückung.

Feinberg beendet ihre/seine Übersicht der TransGeschichte mit der politischen Aufforderung, eine gemeinsame trans-les-bi-schwule Bewegung zu bilden, da die Unterdrückung, die Homosexuelle und TransMenschen erführen, zwar nicht identisch sei, sich aber überschneide.

Feinbergs Arbeit zeigt, dass eine rein feministische oder homosexuelle Perspektive auf die Geschichte zu kurz greift; sie/er liefert wichtige Ergänzungen oder Entzerrungen, die nur aus der TransPerspektive sichtbar werden und auf eine "Homonormativität" in der schwul-lesbischen Geschichtsschreibung aufmerksam machen; die bestimmte Phänomene einfach unter der Aufschrift "Homosexualität" vereinnahmt. Dabei könnte mensch zu komplexeren Darstellungen gelangen, wenn andere Perspektiven, in diesem Fall die TransPerspektive, mit in die Analysen und Erklärungsansätze einbezogen werden. Einige Thesen Feinbergs, besonders Jeanne d'Arc betreffend, sind provokativ und im Einzelnen zu diskutieren; allerdings können ihre/seine Quellenauslegungen nicht damit abgetan werden, dass sie/er als BetroffeneR argumentiert; das tun feministische, homosexuelle und heterosexuelle ForscherInnen ebenso. Transgender Warriors sollte als exemplarischer Anfang verstanden werden, die bestehende Forschung um die TransPerspektive zu ergänzen und so dazu veranlassen, die eigene Forschungstätigkeit kritisch zu hinterfragen.




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