Robert W. Connell:
Der gemachte Mann.
Konstruktion und Krise von Männlichkeiten

Opladen: Leske + Budrich 1999, 300 S., 36 DM

Rezension von Stefan Micheler, Hamburg

Erschienen in Invertito 2 (2000)

Nach wie vor wird in vielen von Männern verfassten deutschsprachigen Untersuchungen zur Geschichte der (Homo-)Sexualitäten die Sexualitätsgeschichte betrachtet, ohne die Geschlechtergeschichte einzubeziehen, obwohl beide Felder eng mit einander verflochten sind. So zeigen etwa seit Jahren - fast schon Jahrzehnten - vorliegende Untersuchungen aus dem anglo-amerikanischen Raum den engen Zusammenhang zwischen der Etablierung des bestehenden Geschlechterverhältnisses und der Schaffung des Typus "des Homosexuellen" im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Die Theorie der unterschiedlichen Männlichkeitsbilder/Männlichkeitsmodelle des australischen Soziologen Robert W. Connell basiert unter anderem auf diesen Untersuchungen, entwickelt sie weiter und ordnet sie in einen größeren Zusammenhang ein.

Robert W. Connell, der an der University of Sydney lehrt, hat in den letzten 15 Jahren weltweit viele Untersuchungen zum Handeln von Männern als individuellen und gesellschaftlichen Akteuren inspiriert und beeinflusst. Auch viele Autoren der deutschsprachigen kritischen historischen Männerforschung beziehen sich auf sein Konzept der "hegemonialen Männlichkeit", das Connell 1985 erstmals vorstellte und seitdem mehrfach umformuliert und erweitert hat. Während die Rolle von Frauen als Akteurinnen der Geschichte seit Jahren untersucht wird, steht die Forschung zur Bedeutung von Männern in der Geschichte aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive noch an ihren Anfängen, obwohl sich die "herkömmliche" Geschichtsschreibung seit ihrer Etablierung als universitäre Wissenschaft implizit mit der Geschichte von Männern, von Männern entwickelten Ideen, von Männern geprägten Institutionen oder von Männern geführten Kriegen beschäftigt hat.

Die feministische Wissenschaftskritik hat dieses Missverhältnis innerhalb der Geschichtswissenschaft - Männergeschichte unreflektiert als "allgemeine Geschichte" zu schreiben - bereits in den 70er Jahren herausgearbeitet, wie die Herausgeberin der deutschen Ausgabe, die Bielefelder Soziologin Ursula Müller, zu Recht in ihrem Geleitwort hervorhebt. Den Herausgeberinnen der Reihe "Geschlecht und Gesellschaft" ist es zu verdanken, dass Connells soziologisches Konzept der Männlichkeiten endlich auch in breiterem Rahmen in deutscher Sprache zugänglich ist. - Bisher waren nur einige Aufsätze veröffentlicht.

Die deutsche Ausgabe Der gemachte Mann entspricht der Cambridger Originalausgabe Masculinities von 1995. Das Buch ist in drei große Abschnitte gegliedert: Wissen im Widerstreit, Vier Untersuchungen der Männlichkeitsdynamik, Geschichte und Politik, die zum Teil auf bereits publizierten Aufsätzen basieren. Dadurch kommt es mehrfach zu inhaltlichen Wiederholungen und Überschneidungen, die aber durchaus als bereichernde Vertiefung bzw. Anwendung der Theorie auf konkrete soziale Situationen in Geschichte und Gegenwart angesehen werden können. Im ersten Teil stellt Connell unterschiedliche Theorien über Männlichkeit vor - von der Psychoanalyse bis zu den modernen Sozialwissenschaften, aber auch diejenigen, die von politischen Bewegungen (Schwulenbewegung und Männerbewegung) hervorgebracht wurden. Connell geht dabei davon aus, dass unsere Gesellschaft, gerade auch im alltäglichen Leben, von der Geschlechterdichotomie und der ständigen Thematisierung der Geschlechtlichkeit von Menschen bestimmt ist. Der zweite Teil des Buches basiert auf biographischen Interviews mit Männern, die vier Gruppen zugeordnet werden. Connell setzt ihre Lebenserfahrungen in Beziehung zu sozialen Strukturen und versucht damit die Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit von Männlichkeiten innerhalb einer Gesellschaft auszumachen. Im dritten Teil betrachtet Connell das historische Entstehen und den Wandel heute in westlichen Gesellschaften existierender Männlichkeitskonzepte und diskutiert "Männlichkeitspolitik".

Connell unterstreicht, dass es keine "echte ursprüngliche Männlichkeit" (S. 219) gibt, wie heutige biologistische Diskurse unterstellen, sondern Männlichkeiten historisch und kulturell unterschiedlich sind. Männlichkeiten existierten nur innerhalb eines komplexen Geschlechterverhältnisses, so gebe es auch Kulturen, die kein dem westlichen Konzept vergleichbares Männlichkeitskonzept haben. Connell verfolgt mit seinen Forschungen einen emanzipatorischen Ansatz und möchte zu einem Wandel der hegemonialen Männlichkeit und des nach wie vor hierarchischen Geschlechterverhältnisses beitragen.

Die heutigen Männlichkeitskonzepte reichten zurück in die Zeit der Reformation und des frühen Kolonialismus und seien durch vier maßgebliche Faktoren geprägt: 1. Das Zurückdrängen des Katholizismus, wodurch das Askese-Ideal durch ein Ehe-Ideal ersetzt und Individualität und damit die Vorstellung des autonomen Subjekts forciert worden sei. 2. Das Entstehen von Kolonialreichen, in die zunächst Männer auswanderten. 3. Das Anwachsen der Städte und das Entstehen von Handelszentren, die durch radikale Individualität und berechnende Rationalität als Grundlage des "Geist des Kapitalismus" geprägt seien. 4. Ein "großangelegter europäischer Bürgerkrieg" (Religionskriege und dynastische Kriege), an dessen Ende der zentralistische Staat gestanden habe, in dem sich männliche Macht in nie da gewesener Form institutionalisierte. Die hegemoniale Männlichkeit der Frühen Neuzeit sei durch das Geschlechtermodell der "gentry", des niederen Landadels, geprägt worden; dessen Vorstellung von Erfolg in Wirtschaft und Staat und männlicher Gewalt habe sich auch in die Zeit transformiert, als Geschäftsleute und Bürokraten begannen, die herrschende Klasse zu bilden. Hierin sieht Connell die Ideologie der "getrennten Sphären" von Mann und Frau begründet, welche die Ablösung des bisher gültigen "Ein-Geschlecht-Modells" durch ein "Zwei-Geschlechter-Modell" mit der Definition unterschiedlicher "natürlicher" Geschlechtscharaktere brachte (Thomas Laqueur 1993). Das Konzept der Geschlechtscharaktere habe auch zu einer Bereinigung der hegemonialen Männlichkeit in sexueller Hinsicht geführt: Homoerotik sei aus dem Männlichkeitskonzept ausgegliedert und einer abweichenden und abgewerteten Gruppe zugeordnet worden: dem Typus "des Homosexuellen". Ein entsprechender Typus des "Heterosexuellen" sei hingegen nicht konstruiert worden: "Heterosexualität wurde vielmehr zu einem unabdingbaren Bestandteil von Männlichkeit" (S. 216).

Grundlage von Connells Theorie der Männlichkeiten ist, dass es in einer Kultur immer mehr als nur ein Konzept von Männlichkeit gibt. Die Konzepte von Männlichkeit seien nicht statisch, sondern unterlägen einem permanenten Konstruktionsprozess. Das aktuell akzeptierte Konzept der Legitimation des Patriarchats bezeichnet Connell als "hegemoniale Männlichkeit". Hegemonie sei dabei aber nicht das Synonym für "vollständige Kontrolle", die Vertreter der hegemonialen Männlichkeit seien nicht zwangsläufig die mächtigsten Männer einer Gesellschaft. Hegemoniale Männlichkeit gebe den Anspruch auf Autorität, aber nicht auf direkte Gewalt bzw. Herrschaft. Die gegenwärtige hegemoniale Männlichkeit sei durch technisches Know-how oder Befehlsgewalt, die auch zusammen wirkten, bestimmt. Insbesondere die Frauenbewegungen hätten die hegemoniale Männlichkeit (bzw. das Geschlechterverhältnis) immer wieder angegriffen und in Frage gestellt und so auch zu deren Transformation beigetragen. Daneben gebe es "untergeordnete", "komplizenhafte" und "marginalisierte Männlichkeiten". Zu den untergeordneten Männlichkeiten zählt Connell insbesondere die "homosexuellen Männlichkeiten", wobei er meistens pauschalisierend den Singular verwendet. Aber auch heterosexuelle Jungen und Männer würden mittels diffamierenden Vokabulars ausgegrenzt und seien zu den untergeordneten Männlichkeiten zu zählen. Komplizenhafte Männlichkeiten profitierten von der hegemonialen Männlichkeit und stützten sie daher, erreichten sie aber selbst nicht. Die Mehrheit der Männer sei zu den komplizenhaften Männlichkeiten zu rechnen. Marginalisierte Männlichkeiten seien Männlichkeiten unterdrückter gesellschaftlicher Schichten und Ethnien. Connells Theorie ist dabei vielschichtiger und lebendiger, als sich dies in dieser knappen Zusammenfassung deutlich machen lässt, enthält aber auch einige Widersprüche und Leerstellen, so z.B. die Ausgrenzung auf Grund von Alter, Gesundheit und Religion, die bestenfalls implizit angeführt wird.

Connell sieht die "homosexuelle Männlichkeit" als dasjenige Konzept, das die deutlichste Opposition zur hegemonialen Männlichkeit bilde und diese am stärksten angreife. Ich glaube nicht, dass diese Aussage, die sicherlich für die Schwulenbewegung der 70er und 80er Jahre in unterschiedlichen Ländern zutreffend ist, auch für die 90er Jahre und die Gegenwart gültig ist. Obwohl Connell durchaus erwähnt, dass sich die Schwulenbewegung gewandelt habe und verstärkt auch "hypermaskuline Bilder" von Schwulen reproduziert werden, bleibt er doch weitgehend der Vorstellung der schwulen widerständigen Männlichkeit der 70er Jahre verhaftet, die unter anderem mittels des "Fummels" die herrschende Geschlechterordnung angriff. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er überwiegend von der homosexuellen Männlichkeit spricht, obwohl er durchaus an einer Stelle des Textes hervorhebt, dass es auch unterschiedliche homosexuelle Männlichkeiten gibt. Zu einer Einschränkung der generellen Aussage führt dies aber nicht. Inwieweit einzelne homosexuelle Männlichkeiten zu den komplizenhaften Männlichkeiten zu rechnen sind, diskutiert Connell nicht. Zu Recht betont er aber, dass die hegemoniale Männlichkeit nach wie vor Homosexualität, egal wie schwule Männer sich selber wahrnehmen, ausschließe.

Connells Untersuchung zeigt, dass es wichtig ist, "homosexuelle Männlichkeiten" in der Geschichte in Relation zu anderen Männlichkeiten zu setzen, da sie sich auf diese beziehen oder sich von ihnen abgrenzen - sowohl in der Selbstwahrnehmung als auch in der Fremdwahrnehmung gleichgeschlechtlich begehrender Männer. Dies ist in meinen Augen auch der Schlüssel zur Betrachtung der Kontroversen der "Homosexuellenbewegung" der Weimarer Republik um die "Männlichkeit" oder "Weiblichkeit" des "Homosexuellen" oder zur Betrachtung der deutschen Jugendbewegung. Connell hebt hier zu Recht hervor, dass die anglo-amerikanische Pfadfinderbewegung wie auch die deutsche Jugendbewegung zwei von vielen Ansätzen gewesen sind, bei Jungen bestimmte Ausprägungen von Männlichkeit (u.a. Heroismus in der "Wildnis") zu fördern. Hiermit ließe sich auch erklären, warum Frauen und Mädchen von vielen Gruppen ausgeschlossen werden sollten.

Connells Zusammenfassungen geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen geraten etwas zu knapp und wirken dadurch sehr schematisch. Oft skizziert er die englische oder amerikanische Entwicklung als allgemeingültig. Einige Informationen, die die deutsche Geschichte betreffen, sind gar falsch (z.B. die Darstellung des "Röhm-Putsches" oder der Geschichte der Hitlerjugend). Die referierten Theorien der Psychologie/Psychoanalyse wirken gleichermaßen stark pauschalisiert, wobei ich mir als Nicht-Fachwissenschaftler hierüber kein Urteil erlauben kann.

Trotz der genannten Mängel halte ich Connells Ansätze für hilfreich und anregend, die Geschichte der Homosexualitäten (auch) aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive zu untersuchen.

Zwei weitere Mängel, die allerdings keineswegs dem Autor anzulasten sind, sollen knapp benannt werden: das lückenhafte Register und die zahlreichen Satz-, Rechtschreibungs-, Interpunktions- und Grammatikfehler, die in einer Publikation eines großen renommierten Verlages doch verwundern.




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