Claudia Schoppmann:
Verbotene Verhältnisse.

Frauenliebe 1938 – 1945, Berlin: Querverlag 1999, 155 S., 29,80 DM

Rezension von Ilse Kokula, Berlin

Erschienen in Invertito 1 (1999)

Beklagt wird häufig, die Erforschung der Situation lesbischer Frauen in der Zeit des Faschismus hinke der Erforschung der Situation schwuler Männer hinterher. Oft wird diese Forschungslücke auch als Vorwand benutzt, um bei Veranstaltungen und Ausstellungen lesbische Frauen nicht oder nur am Rande zu thematisieren. Die promovierte Historikerin und Germanistin Claudia Schoppmann hat bereits mehrere Bücher (Der Skorpion – Frauenliebe in der Weimarer Republik; Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität; Zeit der Maskierung – Lebensgeschichten lesbischer Frauen im "Dritten Reich") sowie Artikel auf diesem Gebiet publiziert. Mit dem neuen Buch Verbotene Verhältnisse. Frauenliebe 1938 - 1945 wird ein weiteres Stück dieser Lücke von der Autorin geschlossen, und zwar am Beispiel Österreichs. Die Argumente (sie wurden auch von mir vertreten), es habe keine offizielle strafrechtliche Verfolgung lesbischer Frauen im "Dritten Reich" gegeben, können nun nach den Recherchen der Autorin in der alten Form nicht mehr aufrechterhalten werden.

Claudia Schoppmann stellt dar, wie Polizei und Justiz nach dem Einmarsch der Deutschen im März 1938 und dem danach erfolgten Anschluss der "Ostmark" an das "Altreich" vorgingen. Sie zeigt, wie Frauen sich in der damaligen Situation verhielten und welche Handlungsspielräume sie hatten. Sie tut dies anhand von erhalten gebliebenen Wiener Gerichtsakten. Ende der achtziger Jahre waren bei dem Forschungsprojekt "Soziale Kontrolle einer Minderheit" zahlreiche Gerichtsakten entdeckt worden. Im Frühjahr 1996 hatte die Autorin die Möglichkeit, einige der einschlägigen Prozessakten einzusehen. Bekannt ist, dass in den Jahren 1938 – 1943 vom Landgericht Wien 66 Frauen nach § 129 I (Sodomie und Homosexualität) des österreichischen Strafgesetzbuches verurteilt wurden. Sie konnte die Unterlagen von 23 Strafverfahren mit rund 50 Beschuldigten bzw. Verurteilten studieren.

Das Ergebnis ist ein Buch, das den Alltag dieser Frauen in den Mittelpunkt stellt. Interessant zu erfahren ist, dass die in diesen Verfahren beschuldigten Frauen fast alle der sozialen Unterschicht angehörten (eine Beobachtung, die bereits niederländische ForscherInnen, machten, die alte Gerichtsakten durchforsteten). Sie waren als Hilfsarbeiterin, Kellnerin, Schaffnerin, Schneiderin, Platzanweiserin im Kino tätig oder arbeitslos.

Nach einem einleitenden Vorwort stellt Claudia Schoppmann zehn Fallgeschichten vor. Sie bemerkt, dass der Umgang mit dieser Art von Quellen nicht unproblematisch ist. "Abgesehen von ganz wenigen in den Akten enthaltenen Selbstzeugnissen (z.B. beschlagnahmte Briefe), die als authentisch gelten können, sind die Aussagen der Beschuldigten also zum einen durch die Verhörsituation geprägt, zum andern tragen die Protokollaussagen die Handschrift des Polizei? und Justizapparates. Das zeigt sich auch an dem Voyeurismus, der in allen Akten ganz offen zutage tritt, an der fast genüsslichen Wiedergabe pikanter Details aus dem Intimleben." So wird in zwei Fallgeschichten der stattgefundene bzw. nicht stattgefundene "Samenerguß" (welch biologisches Wunder!) protokolliert.

Die Protokolle lassen nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die sexuelle Identität der Frauen zu. "Es ist naheliegend, daß die Frauen bei der Vernehmung [...] leugneten oder vermeinten, denn ein Bekenntnis zum Lesbischsein wäre wohl einem Schuldeingeständnis gleichgekommen." Angezeigt haben Vermieter, Nachbarn, Arbeitgeber, mal weil eine dienstverpflichtete Arbeiterin einer anderen an den Busen gelangt haben soll, mal weil Bettwäsche von der Untermieterin geklaut wurde und sich dies mit dem aus dem Untermietzimmer gehörten "Seufzen und Stöhnen" gut verbinden ließ, mal weil ein Zensor bei der Post einen postlagernden Brief abfing und der Gestapo aushändigte.

Diese Fallgeschichten sind in einem Nachwort in den historischen und rechtlichen Hintergrund eingebettet. Im Kapitel Justitia auf Abwegen zeichnet die Autorin die Rechtsentwicklung in Deutschland und Österreich nach. Strafbar blieb lesbische Liebe in Österreich bis 1971. Während weibliche Homosexualität in Deutschland seit 1871 nicht mehr strafrechtlich verfolgt – und auch von den Nationalsozialisten nicht in das Strafrecht aufgenommen – wurde, ging Österreich einen anderen Weg. Als Österreich als "Ostmark" ein Teil des "Großdeutschen Reiches" war, wurde die Strafverfolgung lesbischer Frauen fortgesetzt, und seit 1940 wurde der Straftatbestand des § 129 I b analog dem verschärften § 175 des deutsches Strafgesetzbuchs erweitert, so dass nun beispielsweise auch flüchtige Berührungen als strafbar galten. Trotzdem sind weitaus weniger lesbische Frauen als schwule Männer verurteilt worden. In ihrem Buch Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität, das 1997 neu aufgelegt wurde, erläutert Claudia Schoppmann, dass aufgrund der untergeordneten Stellung der Frau im gesellschaftlichen und politischen Leben die deutschen Nationalsozialisten weibliche Homosexualität als "sozial ungefährlicher" ansahen.




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