Centrum Schwule Geschichte (Hg.):
"Das sind Volksfeinde!"

Die Verfolgung von Homosexuellen an Rhein und Ruhr 1933-1945, Köln, Emons Verlag 1998, 260 S., 29,80 DM; erschienen zur gleichnamigen Ausstellung im EL-DE-Haus.

Rezension von Florian Mildenberger, München

Erschienen in Invertito 1 (1999)

Am Beginn der Beschäftigung mit der Geschichte von Homosexuellen in Deutschland stand das Schicksal der KZ-Häftlinge, die Männer mit dem rosa Winkel. Von "Homocaust" war vielfach die Rede, ebenso von Zwangskastrationen und der berüchtigten Ansprache Heinrich Himmlers in Bad Tölz. Wenig war lange Zeit über die Geschichte lesbischer Frauen zu erfahren.

In dem umfassenden Werk Das sind Volksfeinde! (parallel zur gleichnamigen Ausstellung erschienen) wird dieses Schweigen in einem einleitenden Kapitel gebrochen, alte Mythen ("Homocaust") entkräftet. Der Leser erfährt in den Aufsätzen von Jürgen Müller und Sabine Schrader die Lebensverhältnisse von Homosexuellen im "Dritten Reich". Nicht nur das Schicksal von Schwulen wird thematisiert, sondern auch das (Über)leben von Lesben. Die Klimax der Verfolgungen wird anhand von verschiedenen Skandalen und Gestapo-Aktionen der Jahre 1933, 1936 und 1938 den Lesern vor Augen geführt. Allerdings ist zu bemängeln, dass, mit Ausnahme der im letzten Teil des Buches vorgestellten Lebensbilder, das Schicksal von Lesben im Raum Köln gänzlich im Dunkeln bleibt. Sieht man von diesem Mangel ab, so ist festzuhalten, dass es den Autoren gelungen ist, nicht nur unter Verwendung anderer Forschungsarbeiten bereits Bekanntes auch noch mit Lokalbezug darzustellen, sondern darüber hinaus Tabus der homosexuellen Geschichtsschreibung zu berühren. Dazu zählt die Lebensbeschreibung Hanns Heinz Ewers', der, obwohl homosexuell, sich als glühender Anhänger Hitlers erwies. Detailliert wird dargestellt, wie der Erfolgsautor Ewers trotz seiner Tätigkeit für homosexuelle Zeitschriften in der Weimarer Republik von den Nationalsozialisten hofiert und erst aufgrund zu deutlicher homoerotischer Anspielungen in seinen Werken ausgegrenzt wurde. Diese Schilderung lenkt das Interesse des Lesers auf die Frage, ob denn die sexuelle Veranlagung vor gar keinen Wirrungen des Geistes zu schützen vermag. Spätestens bei der Figur des homosexuellen Rechtsanwalts Fritz Kurt Bartels, der Ratsherr für die NSDAP in Köln war und dennoch verhaftete Homosexuelle verteidigte, wird dem Betrachter deutlich, dass dieser Ansatz bei Bartels ebenso müßig ist wie die Frage nach dem Sinn und Erfolg humanistischer Erziehung im Fall Heinrich Himmlers. So wie hehre Bildung nicht vor Massenmord schützt, so wenig lässt die sexuelle Veranlagung auf politisches Gewissen schließen.

Sehr aufschlussreich ist ferner der Artikel Wolf Borchers über Homoerotik im völkischen Drama. Nicht nur, dass die chauvinismusschwangeren Passagen manches Weihespiels geradezu vor schwulem Herz-Schmerz trieften, nein, die nationalsozialistischen Kritiker bejubelten diese Phrasen auch noch als wertvolle Aufbauarbeit für den neuen Staat, wann immer die männliche Schönheit gewahrt schien. Dem aufmerksamen Leser bleibt sicher nicht verborgen, in welch krassem Widerspruch die offene Verfolgung durch die Kriminalpolizei und Gestapo des Reiches und die schwülen Verse im völkischen Weihespiel zueinander stehen. Während auf der einen Seite die "Experten" der Reichszentrale zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung darüber sinnierten, wie den Homosexuellen das Handwerk gelegt werden könne, tönten die – wie am Beispiel des Theaters in Essen anschaulich geschildert – schwulen Schauspieler im NS-Propaganda-Rührstück Schlageter homoerotische Phrasen: "Treuester aller Freunde [...] Wie oft sind wir in Not und Tod einander zur Seite gestanden – zusammengeschmolzen wie ein Mann."

 Welche Konsequenzen die Versuche der Gestapo, sowohl die Produzierung "erbkranken Nachwuchses" zu verhindern, als auch homosexuellen Geschlechtsverkehr zu unterbinden, für die Schwulen in einigen Fällen hatte, schildert Frank Sparing in seinem Aufsatz über die Kastration von Homosexuellen im Bereich der Kriminalbiologischen Sammelstelle Köln. Unter Verwendung von Quellenzeugnissen und Bildmaterial werden nicht nur die juristischen und bürokratischen Vorgänge dargelegt, sondern auch die Beweggründe einzelner Homosexueller, sich einer Kastration zu unterziehen, aufgezeigt. Dieses gerade von der Medizin- und Rechtsgeschichte vernachlässigte Thema erfährt hier eine breite Darstellung. Die Beurteilungen seitens der in die einzelnen Fälle involvierten Juristen und Mediziner werfen einen tiefbraunen Schatten auch auf diese Berufsgruppen. Nicht nur hier, aber gerade an dieser Stelle ist weitere Forschung dringend erforderlich. Ferner zeigt sich überdeutlich, dass ohne die Bemühungen von geistigen Erben der Betroffenen niemals Licht ins Dunkel gebracht würde. Der Reigen schwuler Lokalgeschichte im "Dritten Reich" findet seinen Abschluss in einem Artikel über homoerotische Vorfälle in Fürsorgeeinrichtungen.

Der letzte Teil des Buches besteht aus Lebensbildern von einer Lesbe und drei Schwulen. Höchst positiv ist festzustellen, dass die Autoren sich nicht damit begnügen, die Essenz der Gespräche mit den Zeitzeugen kurz darzulegen, sondern unter Verwendung eigener Recherche lebendige Artikel über das Leben Homosexueller im "Dritten Reich" bringen. Ängste im Coming-out, der Genuss des schwulen Lebens in der Subkultur, Verhaftung und private Kompromisse in der braunen Ära werden hier anschaulich ausgebreitet, jede Heroisierung konsequent vermieden. So gelingt den Autoren die Wahrung der Objektivität, was gerade bei der Aufarbeitung durch Angehörige einer unterdrückten Minderheit nicht immer gegeben ist (vgl. diverse Dokumentationen über Antifaschismus).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die im Buch vorgestellten Aufsätze wohl fundiert sind (kleinere historische Fehler wie falsche Datumszuordnungen fallen nicht aus dem Rahmen) und die Autoren historische Zusammenhänge auch Laien durch lebendige Sprache erschließen können. Dazu tragen gerade viele Bilder und abgedruckte Quellen bei. Die Verknüpfung von Oral History mit schriftlichen Quellen ist vorbildlich. Sehr aufschlussreich sind ferner die Lebensbeschreibungen der wichtigsten mit der Jagd auf Homosexuelle befassten Polizeibeamten. Nur zwei Kritikpunkte bleiben: Zum einen die nur geringe Berücksichtigung des Schicksals von Lesben, zum anderen das Fehlen eines Aufsatzes über Homosexuelle im Widerstand. Doch bei der seit Jahren hervorragenden Arbeit des Centrums Schwule Geschichte ist anzunehmen, dass auch diese noch wenig erforschten Kapitel homosexuellen Lebens ihrer baldigen Aufarbeitung entgegensehen.




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